Die brennende Gasse
bitten.
Aber war sie falsch gewesen? Nicht gänzlich, hatte er sich eingestanden. In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, unter anderen Umständen wäre ihre kleine Tändelei vielleicht aufgeblüht; denn er empfand Elizabeth als angenehme Gefährtin, lebendig und herzlich. Sie war geistreich, hatte einen scharfen Verstand, und der Klang ihrer Stimme gefiel ihm ausnehmend. Außerdem wollte er sie nicht verletzen.
Aber sie war keine Adele und würde es nie sein.
Seine Sorge vor diesem Treffen erwies sich als grundlos, denn das Schloß schien verlassen. Außer dem einen, der sie führte, waren wenige Dienstboten anwesend, und als sie die Tür zu dem Raum öffneten, wo der kleine Junge in seinem Bett lag, wandte sich der Diener rasch zum Gehen. Alejandro faßte ihn am Handgelenk und sagte: » Wir werden verschiedenes nötig haben. Ihr braucht nicht einzutreten, sondern die Dinge nur vor die Tür zu stellen. Kommt unbedingt, wenn wir läuten, sonst leidet das Kind unnötigerweise noch mehr; dann werde ich dafür sorgen, daß Eure Herrin erfährt, wer sie im Stich gelassen hat. «
Sie banden sich Tuchmasken, die de Chauliac mitgebracht hatte, vor die Gesichter, traten ein und schlossen schnell die Tür hinter sich. Sofort überfiel sie der Geruch der Pest, und Alejandro riß als erstes die Fenster auf, um etwas frische Luft zum Atmen einzulassen. Sie fanden den Jungen unter der Nerzdecke in seinen verschwitzten Nachtkleidern, von seinen eigenen Exkrementen besudelt – denn niemand, nicht einmal seine Mutter, wagte sich nahe genug an ihn heran, um ihn zu pflegen. Alejandros Herz schmerzte vor Mitgefühl mit dem Knaben, dessen Hals geschwollen und dunkel und dessen Augen angstvoll aufgerissen waren. Umgeben von Fremden, würde er jetzt einem Vorgang unterworfen werden, der ihm wie eine grausame Tortur erscheinen mußte.
Alejandro warf die Pelzdecke zu einem Bündel in die Ecke, zog die Glocke und ging an die Tür. Der Diener erschien auf dem Gang, wollte sich aber der Tür, die nur einen Spalt geöffnet war, nicht nähern. » Bringt frische Laken und Nachtkleider sowie mehrer e g roße Krüge mit sauberem Wasser. Und eine neue Decke für das Bett – aber sie muß aus Wolle sein, nicht aus Pelz. Wir brauchen einen Topf zum Kochen und Nahrung für drei Tage für uns alle. Stellt alles hier draußen ab! «
Alejandro kehrte ins Innere zurück, und während er darauf wartete, daß die Gegenstände gebracht wurden, nahm er de Chauliac beiseite. » Ihr bringt Euch durch Eure Anwesenheit hier in ernste Gefahr. Kate und ich haben diese Krankheit bereits einmal durchgestanden. Und ich habe nie einen Überlebenden gesehen, der ein zweites Mal an der Pest erkrankte. Deshalb bin ich überzeugt, daß wir sicher sind. Aber Ihr – Ihr seid verwundbar, fürchte ich. «
» Dennoch werde ich bleiben. Ich habe einen Eid abgelegt. «
» Brecht Euren Eid, Franzose, oder Ihr werdet zwar die Heilmethode erlernen, aber niemals in der Lage sein, sie anzuwenden. «
Doch mit unbeugsamer Entschlossenheit verkündete de Chauliac: » Ich werde bleiben. «
» Dann tretet zurück, damit Ihr die Ausdünstungen des Kindes nicht einatmet. Vielleicht geht Ihr dadurch einer Ansteckung aus dem Weg. «
» Aber ich muß zusehen … größere Weisheit kann ich in meinem Leben nicht erlangen. «
Alejandro starrte ihn an und verriet ihm endlich: » Es ist nicht mehr als die Weisheit eines alten Weibs. Einer Frau. «
» So sagtet Ihr, Kollege, aber es muß noch mehr daran sein.«
»De Chauliac«, Alejandro ließ nun seine Stimme anschwellen, »das ist alles. Und unterschätzt niemals die Macht einer Frau, die weiß, was getan werden muß.«
KAPITEL 34
I m Jameson Memorial Hospital wartete eine Aufgabe, die Janie unbedingt erledigen wollte; aber als sie in ihrem Wagen dort ankam, überzeugte ein schneller Blick sie davon, daß sie in einem Auto keine Chance hatte, auch nur in die Nähe der Einrichtung zu gelangen. Die Parkplätze waren gesperrt, um eine Flotte von Fahrzeugen unterzubringen, die eher vor einen Militärkomplex als vor ein Krankenhaus gepaßt hätten. Cops in grünen Overalls wiesen Ambulanzen auf die Zufahrten zum Krankenhausgelände, aber sie ließen keine Privatwagen durch. Janie parkte ihren Volvo also ein paar Blocks entfernt an einer Stelle, die ihr von ihrem Leben vor den Ausbrüchen her traurig vertraut war, ein Grundstück hinter der einstigen Schule ihrer Tochter Betsy. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß der
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