Die brennende Gasse
» Dahin kann ich nicht gehen. «
» Ich glaube, das schuldet Ihr ihr, Kollege! «
Bedrückt senkte Alejandro das Haupt. Dann sah er schweigend Kate an, als bitte er um ihre Erlaubnis. Mit einem leichten Wimpernschlag willigte sie ein.
Er wandte sich wieder de Chauliac zu. » In dem Raum, in dem ich gefangengehalten wurde … «
» Aye! « De Chauliac räusperte sich. » Das Mädchen hat es gefunden. Sie hätte das stinkende Zeug am liebsten weggeworfen, aber statt dessen gab sie es mir. Ich bewahre die Flasche in meinem Studierzimmer auf. «
» Dann ist es also nicht verflogen? «
» Vielleicht ein wenig davon, das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber es verbreitet nach wie vor einen intensiven Fäulnisgeruch; was immer die Eigenschaft ist, die Ihr daran schätzt, sie scheint überlebt zu haben. Jetzt bin ich froh, daß ich das Zeug nicht weggeworfen habe. «
A ls sie das Langhaus verließen, um sich auf den Weg zu machen, sah Alejandro zwei angebundene Pferde, die unbewacht auf sie warteten. Überrascht wandte er sich an de Chauliac: » Seid Ihr allein hierhergeritten? Mit einem zusätzlichen Pferd? «
» Im Augenblick gibt es keine Wegelagerer «, erklärte de Chauliac.
» Wie ist das möglich? «
» Sie sind alle tot, Kollege. Dahingemetzelt. Navarra und Coucy haben jeden töten lassen, der solcher Taten auch nur verdächtigt wurde. Und natürlich sind für sie auch solche, die betteln, um ihre Familie zu ernähren, nichts anderes als Straßenräuber. Deshalb brauchen wir derzeit wenig zu befürchten. «
Und doch haben sie uns in Ruhe gelassen, weil sie es Karle versprochen hatten, dachte Alejandro. Selbst unter Ungeheuern gibt es anscheinend so etwas wie Ehre. Er flüsterte ein kurzes Dankeswort an die Seele des verstorbenen Guillaume Karle und fragte sich, ob der Geist des guten Mannes Frieden gefunden hatte.
Es war zu schmerzlich gewesen, über ihn zu sprechen, und so hatte er seiner während des langen Winters schweigend gedacht. Obwohl er seine Gedanken niemals äußerte, fragte Alejandro sich oft, wie er seine letzten Stunden verbracht haben mochte. Hatte er seinen Peinigern getrotzt und sie verspottet, wie sie ihn verspottet hatten, wissend, daß dies seine letzte Gelegenheit dazu sein würde? Oder hatte er stoisch geschwiegen, als Navarra und Coucy seinen Untergang planten? Was für ein Schock mußte es für Karle gewesen sein, als er erfuhr, daß ein Bündnis mit ihm nicht gebraucht wurde, weil der Dauphin nicht über die notwendigen Truppen verfügte und daher keine Schlacht zwischen Navarra und dem französischen Thronerben stattfände. Und doch war es ihm gelungen, Navarra ein feierliches Versprechen abzupressen, und zwar mit soviel Leidenschaft, daß der Schurke es tatsächlich gehalten hatte.
Oft hatte er sich gefragt, ob Karle derjenige gewesen war, der Navarras Arm aufgeschlitzt und sich so seinen Respekt verdient hatte. Die Wunde war einige Tage alt gewesen, als er sie behandelte.
Diese Fragen gingen ihm wieder durch den Kopf, als sie sich auf die Reise nach Paris vorbereiteten. Er würde die Antworten allerdings niemals erhalten, ohne Navarra gegenüberzutreten. Und das gelänge ihm nur, wenn sein Körper ihn nicht aus Schwäche im Stich ließ.
» Kollege? « sagte de Chauliac sanft, als alles gepackt war. » Seid Ihr bereit? «
» In etwa «, kam die leise Antwort.
Sie hatten nichts, das es wert war, mitgenommen zu werden, bis auf Alejandros Gerätetasche und die Büchse mit dem getrockneten Fleisch, das Kate so sorgfältig hergestellt hatte, als sie sich im Langhaus niederließen. Diese Gegenstände paßten genau in die Satteltasche, in der de Chauliac seine Nahrungsmittel mitgebracht hatte. Es war eine jämmerliche Erkenntnis, daß alles, was sie auf der Welt besaßen, kaum mehr Raum einnahm als das, was jetzt ihre Bäuche füllte. Also versuchte Alejandro, auf dem Ritt nicht daran zu denken; statt dessen konzentrierte er sich darauf, Kate festzuhalten, die vor ihm auf dem größeren der beiden Pferde saß. Zuerst hatte er gedacht, die Last werde für das Pferd zu groß sein, und nebenhergehen wollen; doch de Chauliac überzeugte ihn ohne große Schwierigkeiten davon, daß sein und Kates Gewicht zusammen nicht vie l m ehr ausmachten als sein eigenes. So stieg Alejandro in den Sattel, dankbar, seiner Schuldgefühle ledig zu sein.
Die Wege waren noch gefroren, und im frischen Schnee gab es nur wenige Spuren außer den leicht verschneiten Abdrücken der Hufe, die de
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