Die brennende Gasse
Fleischmarkt war um diese frühe Stund e s o, wie Janie erwartet hatte, vielleicht ein wenig eleganter wegen seiner hochnäsigen Kundschaft. Die Happy Hour befand sich auf dem Höhepunkt. Neureiche junge Techno-Snobs strömten in Scharen herbei und gaben ihre Credits, die elektronischen Dollars, für überteuerte Drinks in einem Tempo aus, das einen Rockefeller beunruhigt hätte. Dabei warteten sie auf etwas Computerzeit. Sie saßen an ihren numerierten Terminals und tauschten mit attraktiven Gästen an anderen Terminals anonyme Witzeleien aus. Obwohl nun Janie mit ihren eigenen technologischen Kenntnissen durchaus zufrieden und von der Brillanz, die sich rings um sie entfaltete, nicht im mindesten eingeschüchtert war, fühlte sie sich doch reichlich fehl am Platze – sie war gute zwanzig Jahre älter als alle anderen Personen in dem Lokal.
Daher setzte sie sich an ein Ende der Bar und trank unauffällig ein Glas Pinot Noir, während um sie herum das Spiel der Leidenschaften seinen Fortgang nahm. Sie beobachtete genau, wie sich diese glatten jungen Leute des Cyber-Zeitalters verhielten, und wartete auf ein Detail, das sie auf eine Idee bringen würde.
Schließlich wurde sie belohnt, nicht durch das erwartete Detail, sondern durch ein Muster, das nach und nach sichtbar wurde. Sie war inzwischen bei ihrem dritten Glas Wein angelangt, das sie sich erlaubte, weil sie an diesem Abend mit dem Bus nach Hause fuhr – allein, aber zur Abwechslung einmal nicht unglücklich. Ihr fiel auf, daß die Leute an ihren Terminals miteinander Kontakt aufnahmen, nachdem sie im System waren; sobald jemand ein Interesse zeigte, stand der oder die Betreffende auf und ließ den Computer im operativen Modus weiterlaufen, während er sich echten menschlichen Kontakten widmete. Der Computer blieb dann noch weitere fünf Minuten aktiviert. Sie konnten sich also Zugang verschaffen – und die Person, die am Terminal gesessen hatte, würde ein Alibi haben. Ihr wäre nichts vorzuwerfen.
Mit einem entschlossenen Ruck trank sie den Rest ihres Weins aus und verließ die Bar, ohne mit irgend jemand auch nur ein Wort gewechselt zu haben.
» Morgen abend möchte ich mit dir ausgehen, nur wir beide allein «, sagte sie später, als ihr Schwips ein wenig verflogen war, am Telefon zu Caroline.
» Aus welchem Anlaß? «
» Es gibt keinen. Noch nicht. Aber ich arbeite daran. « Sie unterbreitete ihren Plan.
Widerstrebend erklärte sich Caroline zur Mithilfe bereit und machte das Angebot, das Janie sich erhofft hatte.
» Caroline, das ist toll – du ahnst nicht, wie sehr ich deine Begleitung zu schätzen weiß. «
Die Freundin jammerte ein wenig: » Ich hoffe, diesmal läuft es besser als das letzte Mal, als wir uns aufgemacht haben, um dir etwas zu beschaffen, was jemand nicht herausrücken wollte. «
KAPITEL 7
A lejandros Pferd blieb den ganzen Nachmittag nervös, denn dem Geruch des Todes war nicht zu entkommen. Auf den Straßen wimmelte es von den aufgeblähten Leichen der Männer, die bei dem Versuch gefallen waren, dem Zorn von Charles von Navarra zu entgehen. Bald erreichte Alejandro einen Abschnitt des Weges, wo die Toten verkohlt waren, als sei irgendein großzügiger Wohltäter vorbeigekommen und habe das nötige Öl geopfert, um die Gefallenen wenigstens so weit zu verbrennen, daß die Tiere sich von ihnen fernhielten.
Vor zehn Jahren, als sie in Richtung Calais an Paris vorbeiritten, um nach England überzusetzen, hatte er ähnlich Schreckliches gesehen. Die Pest, die ihren tödlichen Kuß auf jede zweite Stirn drückte, der sie auf ihrem grauenhaften Zug durch Europa begegnete, hatte in Frankreich verheerend gewütet. Damals waren die Krieger noch jung und Öl reichlich vorhanden, weit reichlicher als Männer mit der Kraft, Gräber auszuheben. Also verbrannte man die Leichen, wo sie gerade lagen, und er hatte die Scheiterhaufen noch vor Augen. Die Beschreibung einer derartigen Strecke befand sich in seinem längst verlorenen Buch der Weisheit.
Wer las wohl jetzt darin, wenn überhaupt jemand? Wer befaßte sich mit den Geheimnissen seines Lebens, den Intimitäten seiner Seele, die er auf den Pergamentseiten preisgegeben hatte? Er würde es nie erfahren, wenn er nicht nach England zurückkehrte, und das lag in weiter Ferne.
Jetzt kam er an brennenden Leichen vorbei, deren Flammen noch nicht erloschen waren, und er ertappte sich beim ständigen Gebet für die Seelen dieser Toten. Nach einer Weile lenkte er das unglückliche Pferd
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