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Die brennende Gasse

Die brennende Gasse

Titel: Die brennende Gasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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um sich zu entleeren «, gab die Frau Auskunft. » Gott sei Dank kann er das noch, denn ich habe nicht mehr die Kraft, ihn aufzuheben. Aber alles, was er zu sich nimmt, kommt nur als schmutziges Wasser wieder heraus «, flüsterte sie traurig.
    » Obwohl er fast nichts ißt. «
    » Und was ist mit dem Kleinen? « fragte Karle und blickte sich um.
    Die Frau wies mit der Hand in eine düstere Ecke; dort sahen sie einen kleinen Jungen, der sie aus der Dunkelheit mit den hohlen, leeren Augen von jemandem anstarrte, der an nichts als Essen denkt.
    » Den hat es nicht erwischt, heilige Jungfrau Maria, aber er ist nicht größer als vor zwei Sommern. Und spricht nicht mehr «, fügte sie mit gequältem Blick hinzu. » Ich fürchte, es fehlt ihm im Kopf. «
    Kate schaute sich um, sah aber keine weiteren Kinder. » Gibt es noch andere? «
    Mit einem trostlosen Schluchzen legte die Frau eine Hand auf ihre Brust und sagte: » Dahin! Die Pest hat es weggerafft! «
    Kate und Karle starrten einander an. » Gibt es hier Fälle von Pest? « flüsterte Karle.
    Unter Tränen brachte die Frau heraus: » Sie kommt hin und wieder vorbei und nimmt immer jemanden mit, bevor sie sich wieder in ihr Loch verkriecht. «
    Mitleidig legte Kate der Frau eine Hand auf die Schulter. Sie meinte das tröstend, aber die Arme erschauerte, und Kate fühlte, wie unter ihrem zerlumpten Kleid die Knochen herausstanden.
    » Wann ist Euer Kind gestorben? «
    » Beim letzten Mondwechsel. «
    » Und Ihr habt es begraben? «
    » So gut ich konnte … ich habe am Rand des westlichen Feldes ein flaches Loch ausgehoben, das Kind hineingelegt und dann mit Steinen bedeckt. Ich bete darum, daß keine Tiere gekommen sind. «
    Das solltet Ihr auch, dachte Kate. » Madame, gibt es hier häufig Ratten? «
    Die Frau starrte sie aus geschwollenen Augen an. » Weshalb stellt Ihr eine solche Frage? «
    » … weil es Ärzte gibt, die denken, die Ratten könnten Schuld an der Pest sein. «
    » Dann werden wir alle sterben – denn wir waren gezwungen, sie zu essen. «
    Kates Magen hob sich. » Und das verstorbene Kind? Hat es eine Ratte gegessen? «
    » Vielleicht; ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Mein Großer war alt genug, um selbst welche zu jagen. Und wir hatten den Punkt erreicht, wo wir nicht mehr alles, was wir fingen, miteinander teilten. « Sie bekreuzigte sich rasch. » Möge Gott uns diese Sünde verzeihen. Der Junge könnte eine gefangen und in seinem Hunger gegessen haben, statt sie nach Hause zu bringen. Aber ich weiß es nicht. «
    Und das, ohne das Fleisch vorher im Kochtopf zu erhitzen, dachte Kate. » Niemand darf Ratten essen «, ordnete sie entschieden an. » Niemals wieder! Ratten zu essen, ist der fast sichere Tod. «
    » Wir sind ohnehin sicher, daß wir sterben werden. «
    Auf diese hoffnungslose Bemerkung hatte Kate keine Antwort. Sie war bestürzt über die Verzweiflung, die sie sah, und gab der Frau ihre letzten Äpfel. Plötzlich schämte sie sich ihrer eigenen strahlenden Gesundheit, das Fleisch auf ihren Knochen war ihr peinlich. » Habt Ihr denn gar kein Brot? « hakte sie nach.
    » Wie sollen wir Brot backen? Sie haben den Pflug genommen – es gibt also keine Felder und daher kein Mehl. Überdies vermag mein Mann den Boden nicht mehr zu bestellen; er kann sich nicht lange genug aufrecht halten, auch nur eine Reihe umzugraben. Nicht einmal Steckrüben pflanzen wir mehr an. Navarra hat uns obendrein all unser Vieh genommen! « Sie drehte den Kopf zur Seite und spie gehässig auf den schmutzigen Boden.
    Dann begann sie zu weinen, der kleine Junge kam aus seiner Ecke und klammerte sich an ihren Rock. » Wie sind wir in diese Lage gekommen? « schluchzte die Frau. » Wir hatten so vieles, wofür wir uns immer bedankten! Und jetzt ist alles verloren. «
    Guillaume Karle trat näher an Kate heran und flüsterte: » Könnt Ihr nichts für diesen Mann tun? Hebamme? «
    Sie warf ihm einen unsicheren, ängstlichen Blick zu. Dann ging sie zum Lager des gelblich aussehenden Bauern. Sie prüfte seinen Zustand, so gut es ging, ohne ihn zu berühren, denn dadurch hätte sie sich nur angesteckt. Cholera, schloß sie aus ihrer kurzen Musterung. Alejandro hatte ihr die Symptome oft beschrieben; mit großer Wehmut berichtete er oft von seinem alten Soldatenkameraden, der die Cholera aus tiefster Seele fürchtete, und dann statt dessen der Pest zum Opfer fiel.
    Wieder bei Karle, flüsterte sie: » Da ist wenig zu machen. Aber ich wage nicht, sie ohne jede

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