Die brennende Gasse
sich erst um, als sie das Motore n geräusch seines anfahrenden Wagens hörte. Jetzt waren seine Augen nicht mehr auf sie gerichtet, sondern auf die Straße vor ihm, so daß sie ihm gefahrlos nachschauen konnte. Was sie auch tat, Staunen und Neugier wuchsen in ihr.
Warum hatte sie ihn letzte Nacht angerufen, wo doch Michael ein durchaus zuverlässiger Helfer und außerdem viel offizieller war? Es kam mir irgendwie natürlich vor, sagte sie sich. Und außerdem war er ihr Anwalt.
Die Aufzugtüren öffneten sich, und sie trat ein. Wieder war sie von poliertem Messing umgeben. Als sie in ihr Büro kam, schien es sicher genug in einer Phase, in der Sicherheit das vorrangigste Bedürfnis war. Also setzte sich Janie an den Computer und fing langsam an, die Tagesaufgaben in Angriff zu nehmen. Sie überprüfte alles, was heute anstand, und stellte zu ihrer großen Erleichterung fest, daß sie keine Termine hatte. Nur die Hausmitteilungen mußte sie lesen.
Aber es gab immer E-mail. Der kleine Postbote war wunderbar vertraut, ein willkommener Anblick auf dem Bildschirm, wo er eine Handvoll Briefe schwenkte. Der erste stammte von Caroline: Ruf mich an, wenn du irgend etwas brauchst – im Computer Heaven gibt es ein Sonderangebot an Taschencomputern, wenn du deinen ersetzen willst. Ich kann dich später abholen, wenn du hinwillst. Michael hat mir jede Menge Benzin besorgt.
Einer kam von ihrer Autowerkstatt: Zeit zum Ölwechsel.
Einer von Bruce: Liebe dich, vermisse dich, rufe dich später an, ciao! Er wußte nichts von ihrer schlimmen Nacht. Sie freute sich nicht darauf, es ihm zu erzählen – denn er würde sich Vorwürfe machen, nicht bei ihr zu sein, wenn sie ihn brauchte.
Und noch einer. Haben Sie keine Angst, lautete er. Unterschrieben war er mit Wargirl.
KAPITEL 9
D en ganzen Morgen lang sah Charles von Navarra von dem höchsten Turm des Château de Coucy aus zu, wie ein stetiger Strom Edelleute durch das schwere Tor in den Burghof drang. Alle beflügelte die Hoffnung, ein Bündnis mit ihm zu schließen, denn das Chaos in Frankreich hatte verheerende Ausmaße angenommen und mußte eingedämmt werden. Und obwohl die Ritter, die jetzt seine Führung suchten, es geschafft hatten, den Aufstand der Bauern niederzuschlagen, die sich in Meaux gegen sie erhoben hatten, wußte der kleine König, daß der günstige Ausgang dieses Scharmützels keineswegs von Anfang an sicher gewesen war. Wenn die Aufständischen eine größere Zahl zusammengebracht und einen ausgebildeten Anführer gehabt hätten, sähe die Lage jetzt anders aus. Die rebellische Jacquerie war dem Sieg zu nahe gekommen, als daß irgendein französischer Edelmann noch ruhig schlafen konnte, und all die, die ihre Haut gerettet hatten, waren sich jetzt darin einig, daß die endgültige Entscheidung schnell und entschlossen herbeigeführt werden mußte, wenn sie ihr Recht auf Herrschaft und Steuern behalten wollten.
Der Tag war klar und blau, und es wehte ein leichter Wind. Die Sonne schien so hell, daß Charles seine Augen beschatten mußte. Als er über den eindrucksvollen und günstig gelegenen Besitz seines Gastgebers schaute, stieg Neid in ihm empor. Denn angesichts dieser fruchtbaren Landschaft brauchte man sich nicht zu fragen, wie der mutige und außerdem noch verflixt gutaussehende Baron de Coucy zu solchem Reichtum gelangt war. Aber auf welche Weise konnten les pauvres misérables, die Coucys Ländereien bestellten, in ihrer unbeschreiblichen Not und Armut noch weiter besteuert werden? Selbst Charles der Böse, der am meisten verachtete Despot im ganzen Land, begriff, daß man einem Stein kein Blut entlocken konnte.
Und doch hatten er und seinesgleichen versucht, es aus ihnen herauszupressen. Er konnte den Unterprivilegierten eigentlich keinen Vorwurf machen, daß sie sich erhoben – auch den Bürgern nicht, die sie unterstützten; genausowenig verübelte er einigen Mitgliedern seiner eigenen Klasse ihren offensichtlichen Unwillen, sie niederzuwerfen. Rebellion war in solchen Notzeiten durchaus üblich.
Gleichwohl durfte man sie nicht dulden, jetzt nicht und niemals. Charles hielt es für seine heilige Pflicht, die Macht zu ergreifen, jeglichen Aufruhr zu unterdrücken und jene französischen Adeligen zu einen, die das Chaos unter seiner Tyrannei überlebt hatten. Es war ein Recht, vielleicht sogar eine Verpflichtung, die direkt von Gott kam und sein Großvater, jener erste Ludwig persönlich, an ihn weitergegeben hatte. Charles hieß die
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