Die Brillenmacherin
Schweiß.
»Ich suche Elias Rowe.«
»Kenne ich nicht.«
»Er ist Brillenmacher. Arbeitet er nicht für Sir Latimer?«
»Oh, der Brillenmacher.«
»Ich bringe ihm Material.«
»Davon weiß ich nichts. Wie ist dein Name?«
»Catherine.«
»Warte hier.«
Der Wächter schloß die Tür. Nun schwiegen die Mauer, die Türme. Nur die Fahnen fingen geräuschvoll den Wind. Es roch nach altem Holz und nach Fischinnereien.
Endlich erschien der Wächter erneut. »Er ist sehr erstaunt, aber er sagt, er kennt dich.« Er hielt ihr die Tür auf.
Stumm überquerten sie den Burghof. Zwei Pferdeknechte striegelten einen Rappen. Ihre Bürsten hinterließen Bahnen im Fell des Tiers, auf denen die Sonne glänzte. Der Hahn, der sich auf dem Misthaufen daneben in die Brust warf, beachtete das |10| Pferd nicht; er legte ruckhaft den Kopf schief und besah Catherine, als überlegte er, ob er sie in seinem Reich dulden würde oder nicht.
Vor einem Turm blieb der Wächter stehen. »Störe ihn nicht zu lange. Der Herr wünscht, daß der Brillenmacher unbehelligt arbeiten kann.«
»Hat er nicht gesagt, wer ich bin?«
»Was meinst du?«
»Ich bin seine Ehefrau.« Sie drückte die Tür auf. Talgkerzen flackerten in der Dunkelheit. Zuerst nahm Catherine die breite Treppe wahr, die in das nächste Stockwerk hinaufführte. Dann erfaßte ihr Blick die Werkzeuge auf den Tischen: Zangen, Feilen, Schleifschalen, Hämmer, Zirkel, Bohrer, Messer, Sägen, Hobel, dazu Rohglasplatten, Schmirgel, Säckchen mit Zinnasche und Uhrensand, Brettchen von Lindenholz.
Elias stand über einen der Tische gebeugt. Das weiße Haar wucherte ihm schon wieder weit über den Nacken, ihn kümmerte so etwas nicht. Seine Schultern kündeten Kraft, aber sie waren gekrümmt von der Arbeit. Ohne auf seine Hände zu schauen, wußte sie sofort, was er tat: Er führte die Glasfeile über eine Linse. Seine gleichmäßigen Bewegungen verursachten ein feines, schabendes Geräusch. Dann und wann hob er die Linse in die Höhe und fuhr mit dem Daumen über ihren Rand.
»Elias, ich weiß, das wird dir nicht gefallen.«
Das Schleifen brach ab. Langsam richtete der Brillenmacher sich auf, legte die Linse und die Feile aus den Händen. Er drehte sich um. Die weißen Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Also hat der Torwächter die Wahrheit gesagt. Du bist mir nachgereist. Was ist geschehen?«
»Seit Wochen warte ich auf deine Rückkehr. Ich wollte dich sehen.«
»Ah.« Er lächelte milde. Dann wendete er sich ab und nahm die Arbeit wieder auf. Wie er vor Catherines ersten Worten gearbeitet hatte, so arbeitete er jetzt weiter, nicht minder in seine Tätigkeit versunken als zuvor.
|11| »Elias!«
Er legte die Feile aus der Hand und griff nach einem Lederlappen. Sorgfältig polierte er den Rand der Linse, prüfte immer wieder mit dem Daumen nach.
»Ich möchte mit dir reden, Elias.«
»Siehst du die Brillenfassung dort hinten? Kannst du sie mir bitte bringen?«
Catherine holte den hölzernen Rahmen und legte ihn neben ihrem Mann ab. »Warum läßt dich Sir Latimer nicht gehen?«
»Meine Arbeit ist noch nicht abgeschlossen.«
»An Ägidien wäre ich gern wieder zu Hause. Mit dir. Schaffen wir das?«
»Du weißt, daß ich diesen Ort nicht verlasse, bis ich die passende Brille für Sir Latimer hergestellt habe.«
»Warum dauert es so lange?«
»Es dauert nicht lange.«
»Du bist seit neun Wochen hier. Du fehlst mir.«
Er nahm auf einem Schemel Platz und dehnte vorsichtig den Brillenrahmen, wo das kreisrunde Holz eingeschnitten war. In die Öffnung hinein preßte er eine der Linsen. Es knackte leise, als sie sich in die dafür vorgesehene Kerbe fügte. Der Rahmen schloß sich. »Verzeih, Catherine. Ich habe oft an dich gedacht. Du weißt, ohne Ausdauer ist den Augenleiden nicht beizukommen.«
»Wie viele Linsen hast du Sir Latimer schon geschliffen?«
»Dort hinten, die Kiste.«
Es war eine lange, schmale Holzschachtel, von Querstreben in kleine Fächer unterteilt. In jedem Fach klemmten zwei Linsen. Vierzig mochten es sein, oder fünfzig. »Bist du dir sicher, daß du ihm helfen kannst?«
»Natürlich. Er hat die üblichen Beschwerden. Auf der Jagd sieht er gut, aber er kann nicht lesen. Zuletzt konnte er die Schrift nur noch erkennen, wenn er das Buch weit von sich gestreckt hat, und inzwischen muß er einen Schreiber bitten, ihm das Gewünschte vorzutragen. Wer für die Ferne blind ist, dem können wir nicht helfen.«
|12| »Du hast ihm so viele Linsen vorgehalten.
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