Die Brillenmacherin
unfreundlich?
Sie legte die dicke Scheibe wie eine Brücke über zwei Schemel und fuhr mit dem Eisen die Kreidezeichnung ab. So hatte sie es bei ihrem Mann gesehen, so hatte sie es tausendfach beobachtet, begierig zu lernen, begierig, eines Tages selbst dieses Handwerk auszuüben. Beißender Qualm stieg auf und mit ihm der vertraute Geruch, der zu Hause in den Ritzen und Winkeln der Werkstatt nistete. Das Glas gab dem Druck des Trenneisens zischend nach. Seine Oberfläche schmolz, und es riß auseinander. Als das kreisrunde Stück nur noch an einem Glasspan hing, löste Catherine es mit einer Zange heraus.
Kaum glühte das Trenneisen noch. Catherine wiederholte rasch die Prozedur mit der zweiten Scheibe. Glücklicherweise war das Waldglas dünner. Die Hitze des Eisens genügte, um auch dort das gewünschte Stück herauszuschmelzen.
Mit einer zweiten Zange bröckelte Catherine von den Rändern der Rohlinsen so lange kleine Teile ab, bis die Linsen in die Brillenfassung zu passen schienen. Dann holte sie die Feile vom Werkzeugtisch, um die scharfkantigen, unregelmäßigen Ränder glattzuschleifen. Der Werkzeuggriff: warm. Elias’ Hand hatte ihn gehalten. Was tat sie hier?
Ich arbeite, sagte sie sich, niemand kann mir das verbieten. Ich bearbeite eine Linse. Und?
Bald schmerzte ihr Arm von den gleichförmigen Schleifbewegungen. Sie ertappte sich dabei, immer häufiger mit dem Daumen nachzuprüfen, wo sich Unebenheiten im Glas verbargen. Woher nahm der alte Brillenmacher die Kraft, ohne Unterbrechung die Feile zu führen? Es hatte leicht bei ihm ausgesehen.
|20| Jahrelang hatte sie ihn beobachtet und davon geträumt, zu tun, was er tat. Er war ein Herr über das Licht, konnte es führen, wohin er wollte, und dort leuchtete es. Auch sie würde eine Herrin über das Licht sein. Sie hatte sich die Handgriffe gut eingeprägt.
Endlich war der Rand der Linse glatt. Catherine gab Mehl in die Kreidewasserschale und rührte Leim an, um einen Stiel an der Linse zu befestigen. Welche Schleifschale würde sie verwenden? Sie wog die gehämmerten Bronzeschüsseln in den Händen. Es sollte eine dicke Linse werden, die starke Wirkung hatte. Catherine entschied sich für eine tief gewölbte Schale. Sie füllte ein wenig Sand hinein.
Um dem Stiel Zeit zu geben, sicher an der Linse zu haften, ließ sie ihn ruhen und feilte statt dessen den Rand der zweiten Linse glatt. Im Grunde war es jetzt leichter; das dünne Glas ließ sich besser abschleifen. Catherines Arm schmerzte aber schon bei den ersten Bewegungen. Sie zwang sich, die Arbeit nicht zu unterbrechen.
Als der Linsenrand keine Unebenheiten mehr aufwies, prüfte sie den Halt des Stiels. Er saß fest. Elias hatte nicht selten Linsen weggeworfen, weil die Wölbung des Glases nicht gleichmäßig von der Mitte ausging. Der Grund dafür, so hatte er erklärt, war stets, daß er die Linse beim Schleifen nicht genau in das Zentrum der Schleifschale gehalten hatte. Stunden gingen durch solche Fehler verloren und wertvolles Glas zugleich. Um die Linse richtig in die Schleifschale zu fügen, sah Catherine von oben auf sie herab. Ihre Hand zitterte von der Anstrengung des Feilens, das machte es nicht einfacher.
Lange drehte sie die Linse im Sand. Dem Sand folgte Schmirgelstaub, dem Schmirgelstaub roter Uhrensand. Endlich begann die Linse zu glänzen. Catherine lauschte dem Knistern in der Schale. Sie preßte die Hand nur noch sanft hinab. Das Glasstück blitzte wie Kupferwasser.
Nachdem sie die Schleifschale ausgeleert hatte, strich sie Leim hinein und klebte Lederstreifen um Lederstreifen darauf, bis das Gefäß vollständig ausgekleidet war. Dann überstreute |21| sie das Leder mit Zinnasche. Sorgfältig verteilte sie die feine, grauweiße Schicht. Wie eine Mutter ihren Säugling in die Wiege hineinschmiegt, so fügte sie die Linse in die gepolsterte Schale. Sie rieb sie mit sanftem Druck darin um und um, nahm sie heraus, rieb erneut. Die Linse hellte weiter auf.
Sie war versucht, die fertige gelbe Linse schon in den Brillenrahmen einzusetzen, entschied aber, sich das belohnende Knacken für den Schluß aufzuheben. Für die grüne Waldglaslinse wählte sie eine flachere Schleifschale aus.
Zwei Talglichter verloschen. Catherine schöpfte mit einer leeren Schleifschale Wasser aus dem Eimer und trank. Ein Frevel, den Elias nie erfahren durfte. Sie verspürte keinen Hunger. Der Glanz der Linsen sättigte sie: eine Speise aus Licht.
Mit Genuß hatte sie die Linsen in den
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