Die Brillenmacherin
Was läßt dich glauben, daß du noch Erfolg haben wirst?«
»Die Linsen haben etwas bewirkt, allerdings hat keine es geschafft, daß er klar sieht. Am Anfang war ich nah dran, dann wurde es schlechter, und jetzt nähere ich mich wieder der richtigen Linse, obwohl ich viel dickeres Glas verwende.«
»Wie merkwürdig.«
»Thomas Latimer ist ein einflußreicher Mann, erst vergangenes Jahr wurde er vom Feldzug gegen die Schotten freigestellt, um die Mutter des Königs zu beschützen. Ich werde ihm eine Brille schaffen, die ihm die Sicht seiner Jugend zurückgibt.«
»Was ist mit deiner Frau?«
Der Brillenmacher stand auf. Sich leise räuspernd, trat er an Catherine vorüber, wickelte einige Rohglasscheiben aus ihrer Hülle und hielt sie vor ein Talglicht. Im gelbgrünen Glas schimmerten Beulen, Luftblasen und kleine Einschlüsse. Elias murmelte: »Vielleicht sollte ich noch einmal einen Versuch mit diesem dicken Barillaglas machen.«
Catherine trat an den Werktisch heran. Sie zog das Trenneisen hervor und drehte es in der Hand. »Darfst du hier im Turm Feuer machen, um das Eisen zu erhitzen?«
»Bitte!« Seine Stimme schlug hart gegen die Wände. »Lege es weg.«
»Aber du brauchst es jetzt.«
»Richtig,
ich
brauche es. Ich werde es mir nehmen, wenn ich soweit bin.« Er legte die Glasscheibe ab. In ein kleines Schüsselchen stäubte er etwas Kreide hinein und goß aus einem Becher Wasser hinzu. Er rührte um.
»Willst du gar nicht nach Hause?«
»Natürlich will ich das.«
»Ich könnte dir helfen, hier schneller fertig zu werden.«
»Gut.«
»Wir könnten …« Catherine brach ab. Sie besah ihre Hände, schluckte. »Wenn wir jeder an einem Linsenpaar arbeiten würden, hätte der Herr Ritter schneller die passende Brille.«
|13| Elias legte die Glasplatte auf seinen Schoß. Farbiges Licht fiel durch sie hindurch auf die Beinlinge. »Du weißt, Catherine, daß ich das nicht dulden kann und will.« Er tunkte den Griffel ins Kreidewasser, spitzte die Lippen und zeichnete einen Kreis auf das Glas. Anfang und Ende des Kreises trafen sich. »Sorge ich nicht gut für dich?«
»Das tust du. Es ist nur: Ich könnte auch Brillen machen.«
»Du hilfst mir schon wunderbar, wenn du die Fassungen schnitzt. Das ist eine wichtige und großartige Aufgabe.«
»Wir wären schneller, verstehst du, und könnten eher zu Hause sein.«
»Catherine.« Ein väterliches Leuchten erschien auf seinem Gesicht. »Als ich London verließ, war ich sechzehn Jahre alt. Ich habe in Brabant acht Jahre lang bei einem Brillenmachermeister gelernt und noch zehn weitere Jahre dort gearbeitet, bis ich nach England zurückkehrte. Das weißt du. Dieses Handwerk übt man nicht einfach aus. Es ist ein schwieriger Beruf, der seine Meisterschaft erfordert. Wie viele Brillenmacher mag es in England geben? Fünf? Zehn? Das hat seinen Grund. In Venedig, dem Zentrum der Brillenmacherkunst, gibt es Gesetze, hörst du, Gesetze, die bestimmen, daß ein Geselle erst dann zum Brillenmachermeister werden kann, wenn er acht Jahre Lehrzeit hinter sich hat. Acht Jahre Lehrzeit, denk einmal, vom Gesetz vorgeschrieben, und selbst in Brabant geht es nicht schneller.«
»Dann laß mich dein Lehrling sein! Darf ein Lehrling keine Linsen schleifen?«
Er zeichnete einen zweiten Kreis. »Du bist eine junge Frau.«
»Und?«
»Du bist nicht mein Lehrling. Weil ich dich liebe, mußt du keine Arbeit tun, die für eine Frau unpassend wäre.« Er erhob sich mitsamt der Glasscheibe und nahm das Trenneisen vom Werkzeugtisch.
»Wohin gehst du?«
»Ich schneide das Glas im Küchenhaus. Warte hier. Sie mögen keine Fremden.« Gerade, als Elias die Tür erreichte, erzitterte |14| sie unter zwei Faustschlägen. Der Brillenmacher erstarrte.
»Bitte«, stammelte er.
Durch die aufschwingende Tür schoß grelles Tageslicht in das Turmzimmer. Eine große schwarze Gestalt trat in das Licht, umgleißt, als hätte sie die Sonne geboren, ein Schatten, der Helligkeit versprühte.
»Herr.« Elias legte Trenneisen und Scheibe ab und fiel nieder auf die Knie.
Eilig folgte Catherine seinem Beispiel.
»Steh auf, mein guter Elias. Ich sehe, du hast eine Besucherin?«
Sollte auch sie sich erheben? Catherine hob ein wenig den Kopf. Unter einer roten Hose aus Wolltuch taten Schnabelschuhe einen Schritt auf sie zu. Die Spitzen der Schuhe ließen auf einen hohen Herrn schließen: Sie ragten eine Fußlänge über den Schuh hinaus. Nur den Edelsten war es gestattet, solches Lederwerk zu
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