Die Brillenmacherin
tragen. Hastig senkte Catherine die Stirn zu Boden.
»Erhebe Sie sich. Was ist ihr Name? In welcher Sache besucht Sie den Brillenmachermeister?«
»Es ist meine Ehefrau«, sagte Elias.
Catherine stand auf. Sie wagte es nicht, den Edlen anzuschauen.
»Du hast nie von ihr gesprochen. Hübsch anzuschauen! Ist sie dir eine tüchtige Helferin? Sie mag bleiben, solange sie will.« Über der enganliegenden Hose trug der Herr einen blauen Rock mit kurzen Ärmeln. »Aber stumm ist sie nicht, oder?«
Catherine sah auf. »Nein, Herr.«
Er fuhr sich mit der Hand über den Kinnbart. Lächelte er? Blickte er ernst? Das Gesicht schien eine Maske zu sein, hinter der sich ein spöttisches Lachen verbarg. Es trat an den Mundwinkeln zutage und glänzte in den hellen Augen. »Sie wird mir verzeihen müssen, daß ich ihren Ehegatten für den Tag entführe.« Er wendete sich um. »Elias, ich möchte, daß du mich nach Lutterworth begleitest. Bist du reisefertig?«
|15| »Herr, es ist mir eine Ehre, Euch zu begleiten.«
»Nimm einige Linsen mit. Ich will einem Mann, den ich schätze, eine Brille schenken.«
Elias bewegte sich nicht von der Stelle, bis der Ritter den Raum verlassen hatte. Dann kam plötzlich Leben in ihn. Er trat an den Linsenkasten heran und stopfte Tücher in die Fächer. »Denkst du, sie sind gut genug gepolstert? Wird es regnen? Brauche ich den Mantel?«
»War das Thomas Latimer?«
»Catherine, es ist wunderbar, daß du da bist. So muß ich mir keine Sorgen um die Werkzeuge machen.« Er trat an sie heran und drückte ihre Ellenbogen. »Hüte die Werkstatt, tust du das für mich?«
»Wann kommt ihr zurück?«
»Sicher in den Abendstunden. Sorge dich nicht, hörst du? Wir reden dann.« Mit dem Linsenkasten in den Händen eilte er hinaus.
Catherine preßte die Faust gegen die Stirn. Ihr Atem zitterte. Wie freudig er der Bitte des Ritters folgte! Für ihn verschleuderte er den Tag, als wäre es nichts. Sie aber war gerade gut genug dafür, die Werkzeuge zu bewachen. Neun Wochen hatten sie einander nicht gesehen, und er plauderte kurz mit ihr, um dann für den Rest des Tages zu verschwinden. Keine Zerknirschung, keine Reue, weil er seine junge Frau so lange hatte warten lassen. Kein Versprechen, daß er sich beeilen würde mit der Arbeit und daß sie bald nach Nottingham zurückkehren konnten.
Was hatte der Ritter gesagt? Elias habe nie von ihr gesprochen! Es stach wie eine Lanze ins Herz. Für ihn gab es nur Glas, Feilen und Linsen, und den ach so berühmten Ritter Latimer, den er glücklich machen wollte, oder die Karmelitermönche oder den Bailiff Trussebut oder wen auch immer, der eine Brille kaufen wollte. Sie, Catherine, kam als letzte an die Reihe. Er bemerkte sie nur dann, wenn es darum ging, neue Brillenfassungen zu schnitzen oder die Werkstatt zu hüten, während er verreiste.
|16| Daß sie ihn so sehr liebte! Gab es keinen Weg, gleichgültig zu werden? Den Kummer wäre sie los, würde sie sich nicht verzehren nach einem freundlichen Wort von ihm, nach einem Lob, nach einer Umarmung.
Er streichelte gern ihre Augenbrauen und erzählte dabei, sie seien wie gesponnenes Gold. Ihren Mund rühmte er, und er sprach schmeichelnd über ihre Wangen und ihren Körper. Trotzdem kannte er sie nicht, auch nach vier Jahren Ehe hatte er keine Ahnung, wozu sie in der Lage war, welche Kraft in ihr schlummerte. Für ihn war sie ein Mädchen, ein schwaches Weib. Blind war er für alles, was sie erreichte, auch wenn sie unermüdlich um sein Lob warb. Sie kochte, wusch, fegte die Werkstatt und stellte ihm Blumen hin. Sie schnitzte Brillenrahmen. Sie war geschickt dabei, aber anscheinend war es nicht genug, um ihn in Erstaunen zu versetzen.
Schon als junges Mädchen war sie um seine Werkstatt geschlichen, hatte die Werkzeuge bestaunt und die glänzenden, kleinen Brillen. Sie hatte davon geträumt, selbst einmal jene Apparate zu erschaffen, die das Licht beherrschten. Sie konnte das! Es war Zeit, daß er es bemerkte. Er würde stolz auf sie sein. Er würde ihre Kraft erkennen.
Catherine lauschte. Hufschlag entfernte sich. Einen Augenblick lang wartete sie, dann schlich sie auf Zehenspitzen von Tisch zu Tisch und ließ die Hand über das Werkzeug streichen. »Heute seid ihr mein«, flüsterte sie. Das Herz schlug ihr bis in den Hals.
Wie mußte die Brille beschaffen sein, die der Herr Ritter brauchte? Wenn Elias einen neuen Auftraggeber hatte, begann er zunächst damit, dünne Linsen zu schleifen. Sie ließen sich aus
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