Die Brooklyn-Revue
nicht daran, sein Schweigen zu brechen und gegen Reverend Bobs heiligen Befehl zu verstoßen. Sprich mit mir, sagte ich. Bitte, David, mach den Mund auf und sprich mit mir. Er schüttelte den Kopf. Er schüttelte den Kopf, und ich brach wieder in Tränen aus, und diesmal waren es echte …
Wir fuhren weiter, und nach ein paar Minuten hatte ich mich wieder so weit im Griff, dass ich ihm sagen konnte, wir schicken Lucy jetzt zu meinem Bruder nach Brooklyn. Wenn er nicht genau das täte, was ich von ihm verlange, würde ich mit der Bluse zur Polizei gehen und gegen Reverend Bob Anzeige erstatten, und unsere Ehe wäre beendet. Du willst doch weiter mit mir verheiratet sein?, fragte ich. David nickte. Na schön, sagte ich, dann machen wir Folgendes. Als Erstes holen wir Lucy zu Hause ab. Dann fahren wir zum Geldautomaten bei der City Federal und heben zweihundert Dollar ab. Dann fahren wir zum Busbahnhof, und du kaufst ihr mit deiner MasterCard eine Hinfahrkartenach New York. Dann geben wir ihr das Geld, setzen sie in den Bus und nehmen Abschied von ihr. Das wirst du für mich tun. Im Gegenzug tue ich auch etwas für dich: Sobald der Bus abgefahren ist, überlasse ich dir die Bluse mit den Spermaflecken deines Helden, und du kannst das Beweisstück vernichten, um seinen Arsch zu retten. Ich verspreche dir auch, bei dir zu bleiben; aber nur unter einer Bedingung: dass ich nie mehr in diese Kirche gehen muss, nicht mal in die Nähe. Wenn du versuchst, mich wieder da hinzuschleppen, verschwinde ich aus deinem Leben, und zwar endgültig und für immer …
Ich möchte nicht davon reden, wie ich von Lucy Abschied genommen habe. Das tut mir zu weh. Ich hatte schon einmal Abschied von ihr genommen, als ich in die Entzugsklinik ging, aber das hier war etwas anderes. Das war das Ende der Welt, und ich konnte sie nur in den Armen halten, versuchen, nicht zusammenzubrechen, und ihr einschärfen, allen zu erzählen, dass es mir gut geht. Sehr schade, dass sie meinen Brief für Tom verloren hat. Darin hatte ich vieles erklärt, und es muss schon einen ziemlich sonderbaren Eindruck gemacht haben, als sie so mit leeren Händen bei ihm aufgetaucht ist. Ich habe auch versucht, Tom vom Busbahnhof aus anzurufen, aber das ging alles so überstürzt, und da ich nicht genug Kleingeld bei mir hatte, musste ich es per R-Gespräch versuchen. Er war nicht zu Hause, aber immerhin wusste ich jetzt, dass er noch dieselbe Adresse hatte wie früher. Möglich, dass ich mich an diesem Tag wie eine Verrückte benommen habe, aber nicht verrückt genug, Lucy nach New York zu schicken, ohne genau zu wissen, wo Tom wohnte …
Das mit Carolina Carolina verstehe ich nicht. Ich habe ihr nie gesagt, dass sie keinem verraten soll, wo ich lebe. Wie käme ich dazu? Ich habe sie zu Tom geschickt – undich bin nie auf die Idee gekommen, dass sie ihm nichts von Winston-Salem erzählen würde. Das arme Kind. Ich habe zu ihr gesagt: Sag ihm nur, dass es mir gut geht, dass bei mir alles in Ordnung ist. Das war anscheinend ein Fehler. Lucy nimmt alles so wörtlich, wahrscheinlich hat sie gedacht, wenn ich das Wort
nur
benutze, meine ich damit, dass sie nichts sagen soll, was darüber hinausgeht. So war sie schon immer. Als sie drei war, habe ich sie jeden Vormittag für ein paar Stunden in den Kindergarten gegeben. Nach ein paar Wochen ruft die Betreuerin mich an und sagt, Lucy mache ihr Sorgen. Wenn die Kinder ihre Milch bekämen, halte Lucy sich immer zurück, bis alle anderen sich eine Tüte geholt hätten, erst dann nehme sie sich auch eine. Die Betreuerin verstand das nicht. Hol dir deine Milch, sagte sie zu Lucy, aber Lucy wartete jedes Mal so lange, bis nur noch eine Tüte übrig war. Es hat eine Weile gedauert, bis ich dahinter gekommen bin. Lucy wusste einfach nicht, welche Tüte
ihre Milch
sein sollte. Sie dachte, alle anderen Kinder wissen, welche ihre ist, und wenn sie wartete, bis nur noch eine Tüte übrig war, musste diese letzte ihre sein. Verstehst du, was ich meine, Onkel Nat? Sie ist ein bisschen seltsam – aber intelligent seltsam, falls dir das was sagt. Nicht wie alle anderen. Wenn ich nicht
nur
gesagt hätte, hättet ihr von Anfang gewusst, wo ich wohne …
Warum ich nicht noch einmal angerufen habe? Weil ich nicht konnte. Nein, nicht weil wir kein Telefon im Haus hatten – sondern weil ich in der Falle saß. Ich hatte David versprochen, dass ich ihn nicht verlassen würde, aber er traute mir nicht mehr. Sobald wir vom Busbahnhof
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