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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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brachte ich Lucy zu Bett, schweigend gab ich David den Gutenachtkuss. Kein Problem. Aber nachdem ich das ungefähr einen Monat durchgehalten hatte, kam Lucy auf die Idee, meinem Beispiel zu folgen. Sie war erst neun Jahre alt. Nicht mal Reverend Bob verlangte, dass die Kinder mitmachten, aber meine Kleine liebte mich so sehr, dass sie mir alles nachmachen musste. Drei Samstage hintereinander sprach sie kein einziges Wort. Ich habe sie angefleht, das zu lassen, aber sie hat nicht nachgegeben. Sie ist ein sehr kluges Kind, Onkel Nat, aber du weißt ja selbst, wie störrisch sie sein kann; hat sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, rennt man gegen eine Wand, wenn man sie davon abbringen will.Kaum zu glauben, dass David sich auf meine Seite gestellt hat, aber offenbar war er auch ein bisschen stolz auf sie, weil sie sich wie eine Erwachsene benahm, und gab sich keine große Mühe, ihr das auszureden. Egal, es hatte ja nichts mit ihm zu tun. Sondern mit mir. Mit mir und ihr. Ich sagte David, ich müsse mit Reverend Bob reden. Wenn er mir erlassen würde, donnerstags zu schweigen, würde das die Last von Lucy nehmen, und sie könnte wieder zur Normalität zurückfinden   …
    David wollte mich zu dem Treffen begleiten, aber ich habe nein gesagt, ich musste allein mit dem Reverend reden. Damit er sich nicht doch noch einmischen konnte, legte ich den Termin auf einen Samstag, auf den Tag also, an dem David nicht sprechen durfte. Fahr mich dorthin, sagte ich, und warte draußen im Auto. Wird nicht sehr lange dauern   …
    Reverend Bob saß in seinem Büro am Schreibtisch und arbeitete die Predigt für den Gottesdienst am nächsten Morgen aus. Nimm Platz, mein Kind, sagte er, und erzähl mir, was dich bedrückt. Ich erzählte ihm von Lucy und sagte, er könne uns einen großen Dienst erweisen, wenn er mich von meinem donnerstäglichen Schweigen entbinden würde. Hmmm, sagte er. Hmmm. Darüber muss ich nachdenken. Ende nächster Woche gebe ich dir meine Entscheidung bekannt. Er sah mich offen an, und immer, wenn er sprach, zuckten seine buschigen Augenbrauen so komisch. Danke, sagte ich. Ich halte Sie für einen klugen Mann, und ich weiß, Sie besitzen die Güte und können ein Auge zudrücken, wenn es einem kleinen Kind zu helfen gilt. Was ich wirklich dachte, sagte ich ihm lieber nicht. Es half ja alles nichts, ich war ein Mitglied seiner beschissenen Gemeinde und musste einfach so tun, als sei es mir ernst mit dem, was ich sagte. Ich dachte, das war’s, erledigt, aberals ich aufstehen wollte, streckte er den rechten Arm aus und winkte mich auf den Stuhl zurück. Ich habe dich beobachtet, Frau, sagte er, und du sollst wissen, dass du auf allen Gebieten gute Noten bekommst. Du und Bruder Minor, ihr zählt zu den Stützen unserer Gemeinschaft, und ich vertraue zuversichtlich darauf, dass ihr bereit seid, mir in allen Dingen zu folgen, in kirchlichen wie in weltlichen. In weltlichen?, fragte ich. Was verstehen Sie unter
weltlich
? Wie du wahrscheinlich weißt, sagte der Reverend, konnte meine Frau Darlene keine Kinder bekommen. Jetzt habe ich ein gewisses Alter erreicht, und wenn ich über mein Vermächtnis nachdenke, stimmt es mich traurig, diese Welt verlassen zu müssen, ohne einen Erben gezeugt zu haben. Sie können doch jederzeit ein Kind adoptieren, sagte ich. Nein, sagte er, das reicht mir nicht. Ich möchte ein Kind von meinem eigenen Fleisch und Blut, einen leiblichen Nachkommen, der das von mir begonnene Werk fortsetzen soll. Ich habe dich beobachtet, Frau, und von allen Seelen meiner Herde bist du die Einzige, die es wert ist, meine Saat auszutragen. Wovon reden Sie?, fragte ich. Ich bin verheiratet. Ich liebe meinen Mann. Ja, ich weiß, sagte er, aber ich bitte dich, lass dich von ihm scheiden und heirate mich, tu es für den Tempel vom Heiligen Wort. Aber Sie haben doch eine Frau, sagte ich. Niemand darf zwei Frauen haben, Reverend Bob, nicht einmal Sie. Nein, natürlich nicht, sagte er. Ich werde selbstverständlich ebenfalls die Scheidung einreichen. Darüber muss ich erst nachdenken, sagte ich. Das kommt mir etwas plötzlich, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Mir schwirrt der Kopf, meine Hände zittern, ich bin völlig verwirrt. Sei unbesorgt, mein Kind, sagte der Reverend. Lass dir Zeit. Aber du sollst jetzt schon wissen, welche Freuden dich erwarten, und deshalb möchte ich dir etwas zeigen. Der Reverend erhob sich von seinem Stuhl, kam um denSchreibtisch nach vorn und zog den Reißverschluss

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