Die Bruderschaft der Black Dagger
Vertrauensbeweis, den er jemandem geben kann. In dieser Szene lässt er sich zum ersten Mal in seinem Leben freiwillig darauf ein, wehrlos zu sein. Vor seiner Transition im Kriegerlager war er durch die Umstände und seine physische Verfassung angreifbar, deshalb hat er sein restliches Leben lang akribisch darauf geachtet, niemandem mehr ausgeliefert zu sein. Aber bei Jane überlässt er sich willentlich einem anderen, was eine Liebeserklärung darstellt, die weit über Lippenbekenntnisse hinausgeht.
Auch hier gilt wieder, dass diese Szene zwar scharf ist, sie aber gleichzeitig eine große Bedeutung für die Entwicklung der Figuren hat.
Nun noch ein Wort zu V und der Jungfrau der Schrift.
Ich wusste schon in dem Moment als V in Nachtjagd zum ersten Mal die Bühne betrat, dass sein Verhältnis zu seiner Mutter eine wichtige Rolle spielen wird, aber welche größeren Auswirkungen das haben würde, war mir nicht klar. Während dem Schreiben der ersten zwei Bücher hatte ich noch nicht einmal eine Ahnung, dass Vishous der Sohn der Jungfrau der Schrift war.
Erst bei Mondspur und Dunkles Erwachen machte es bei mir klick: weißes Licht ist gleich Jungfrau der Schrift; V verströmt weißes Licht, also ist V gleich Jungfrau der Schrift. Ich fand das eine tolle Wendung, und ich schaffte es sogar, dass ich mich weder auf dem Forum meiner Website noch bei Lesungen verplapperte. Ehrlich gesagt, wunderte es mich, dass sonst niemand
diese Verbindung herstellte. (Ich erinnere mich zwar, dass es im Internet ein oder zwei Spekulationen gab, die der Sache ziemlich nahkamen, aber ich zerstreute den Verdacht mit diplomatischen, nichtssagenden Antworten.)
In Seelenjäger und Todesfluch ist Vs Verhältnis zu seiner Mutter sehr schwierig, was auch verständlich ist, wenn man bedenkt, was sie ihm vorenthalten und welchen Dingen sie ihn ausgesetzt hat. Aber schließlich fügt sich alles, und die Szene am Ende von Todesfluch , in der Vishous zu seiner Mutter geht, ist für viele Leser eine Lieblingsszene:
»Was hast du mitgebracht?«, flüsterte sie.
»Ein kleines Geschenk. Nicht viel.« Er ging zu dem weißen Baum mit den weißen Blüten und öffnete die Hände. Der kleine Sittich flog heraus und hockte sich auf einen Ast, als wüsste er, dass das ab jetzt sein Zuhause sein würde. Fröhlich trippelte der leuchtend gelbe Vogel auf dem blassen Zweig auf und ab, die kleinen Füßchen griffen zu und ließen los, griffen zu, ließen los. Er pickte an einer Blüte, stieß ein Trillern aus … hob ein Bein und kratzte sich am Hals.
V stützte die Hände in die Hüften und überschlug im Kopf, wie viel Platz zwischen all den Blüten auf all den Ästen war. Er müsste eine ganze Wagenladung Vögel herbringen.
Die Stimme der Auserwählten bebte vor Rührung. »Sie hat sie für euch aufgegeben.«
»Ja. Und ich bringe ihr neue.«
»Aber das Opfer …«
»Wurde gebracht. Das hier ist ein Geschenk.« Er blickte sich über die Schulter. »Ich werde ihn mit Piepmätzen füllen, ob sie will oder nicht. Was sie dann damit anstellt, ist ihre Sache.«
Vor Dankbarkeit glänzten die Augen der Auserwählten. »Sie wird sie behalten. Und sie werden sie vor der Einsamkeit bewahren.«
V holte tief Luft. »Das ist gut. Denn …«
Er ließ das Wort in der Luft hängen, und die Auserwählte sagte sanft: »Du musst es nicht aussprechen.«
Jetzt räusperte er sich. »Dann sagst du ihr also, dass sie von mir sind?«
»Das muss ich nicht. Wer außer ihrem Sohn würde ihr so eine Freundlichkeit erweisen?«
Noch einmal sah sich V nach dem einzelnen gelben Vogel inmitten des weißen Baums um. Er stellte sich alle Zweige wiederbelebt vor.
»Das stimmt«, sagte er.
- TODESFLUCH, Seite 345/346
Die Jungfrau der Schrift ist nicht gerade eine der beliebtesten Figuren der Serie. Ich persönlich respektiere sie, und zu sehen, wie sie das Einzige, was ihr am Herzen liegt (ihre Vögel), aufgibt, als Ausgleich dafür, dass ihr Sohn Jane zurückbekommt, hat mich sehr berührt. Viele Leute haben mich gefragt, warum sie nicht einfach alles nach ihrem Geschmack richten kann, aber es ist nun mal so, dass sie auch in der Welt, die sie selbst geschaffen hat, nicht völlig freie Hand hat. Das letzte Wort hat immer das Schicksal selbst.
Am Ende von Todesfluch sind V und seine Mutter wieder bis zu einem gewissen Grad versöhnt. Aber es bleibt abzuwarten, was passiert, wenn Vs Zwilling Payne auftaucht. Irgendetwas sagt mir, dass V es nicht so besonders gut aufnehmen wird,
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