Die Bruderschaft der Runen
aus der Verantwortung stehlen, die uns vor so langer Zeit übertragen wurde. Der Zeitpunkt der Erfüllung nähert sich, und wir müssen aufmerksamer und wachsamer sein als jemals zuvor. Der Anschlag auf die Brücke, der Überfall auf Sir Walters Haus – all dies mögen Zeichen sein, die uns gesandt wurden, damit wir den Ernst der Lage begreifen und entsprechend handeln.«
»Was sollen wir tun, ehrwürdiger Vater?«
»Es ist unsere Aufgabe, das Geheimnis zu hüten und dafür zu sorgen, dass der Feind es nicht entdeckt. Und genau das werden wir tun.«
»Und was ist mit den anderen? Sie sind darüber im Bilde, dass es noch mehr Parteien gibt, die das Rätsel zu ergründen suchen.«
»Niemand darf die Wahrheit erfahren«, sagte Abt Andrew entschieden. »Es geht dabei um viel zu viel, als dass man leichtfertig damit spielen dürfte. Das Wissen um diese Dinge bringt Tod und Verderben. So ist es schon zu alter Zeit gewesen, und so wird es wieder sein, wenn wir uns nicht vorsehen. Das Geheimnis darf nicht ans Licht kommen. Was verborgen ist, muss verborgen bleiben, wie hoch der Preis dafür auch sein mag.«
»Dann soll ich unsere Mitbrüder darüber unterrichten, dass der Zeitpunkt der Erfüllung gekommen ist!«
»Tu das. Jeder von ihnen soll sich vorbereiten und seine Sünden und Versäumnisse bedenken. Und jetzt lass mich allein. Ich möchte zum Herrn beten, dass er uns die Kraft und Weisheit schenken möge für den Konflikt, der uns bevorsteht.«
»Natürlich, Vater.«
Das Knarren der Bodendielen war zu hören, als mit Sandalen umhüllte Füße darüber gingen, dann fiel die Tür von Abt Andrews Arbeitszimmer geräuschvoll ins Schloss. Die Unterredung war zu Ende.
Quentin hatte vom Lauschen einen roten Kopf bekommen. Langsam zog er sich von der Tür zurück und hatte dabei das Gefühl zu zerplatzen. Gehetzt blickte er sich um und hätte am liebsten laut geschrien.
Sein Onkel hatte Recht gehabt. Die Mönche von Kelso wussten tatsächlich mehr, als sie zugegeben hatten. Aber weshalb verschwiegen sie es? Warum weihten sie Sir Walter nicht ein? Was hatten Abt Andrew und seine Mitbrüder zu verbergen?
Es musste dabei um viel, um sehr viel gehen. Von einer jahrhundertealten Last war die Rede gewesen, von einem Feind, der sich wieder erhoben hatte und den die Mönche für den Anschlag auf die Brücke und den Überfall auf Abbotsford verantwortlich machten. Von einem bevorstehenden Konflikt hatten sie gesprochen, von Zeit, die knapp wurde.
Was hatte das alles zu bedeuten?
Mehr noch als das Gespräch an sich hatte die Art und Weise der Unterhaltung Quentin in Aufregung versetzt. Nicht laut und offen, sondern heimlich und leise hatten sie darüber gesprochen – ein uraltes Geheimnis, das sie hüteten und dessen Enthüllung sie um jeden Preis verhindern wollten.
Das Zeichen, das sie erwähnt hatten, konnte nur die geheimnisvolle Schwertrune sein. Abt Andrew hatte ausdrücklich gewarnt, dass es ein Symbol des Bösen wäre, hinter dem dunkle Mächte stünden. Aber was genau mochte es damit auf sich haben? Die Mönche schienen sehr besorgt zu sein – und das wiederum versetzte Quentin in Unruhe.
Er beschloss, das Kloster auf schnellstem Weg zu verlassen und nach Abbotsford zurückzukehren. Sir Walter musste umgehend von dieser Unterredung erfahren, vielleicht wusste er sich einen Reim darauf zu machen. In aller Eile packte Quentin sein Schreibzeug und die Notizen zusammen, die er gemacht hatte, um es so aussehen zu lassen, als recherchierte er tatsächlich für einen neuen Roman seines Onkels. Dann stellte er die Klosterchronik, die er zuletzt gesichtet hatte, zurück ins Regal. Durch die Tür trat er hinaus auf den Korridor – und stieß einen entsetzten Schrei aus, als eine schlanke Gestalt in einer dunklen Robe vor ihm stand.
»Master Quentin«, sagte Abt Andrew und blickte ihn besorgt an. »Geht es Ihnen nicht gut.«
»N-natürlich, ehrwürdiger Abt, seien Sie unbesorgt«, presste Quentin hervor, während ihm das Herz bis zum Hals schlug. »Mir ist nur gerade eingefallen, dass mein Onkel mich in Abbotsford erwartet.«
»Schon um diese Stunde?« Der Abt machte ein erstauntes Gesicht. »Aber Sie können mit Ihren Recherchen unmöglich fertig sein.«
»Das ist richtig. Aber mein Onkel benötigt möglichst rasch die ersten Informationen, um mit dem Schreiben beginnen zu können. Wenn Sie es erlauben, will ich gern ein anderes Mal zurückkehren, um meine Studien in Ihrer Bibliothek
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