Die Bruderschaft der Runen
verschaffen wollten, muss das bedeuten, dass es dort etwas zu finden gibt. Möglicherweise stoßen wir dann endlich auf die entscheidenden Hinweise, die es uns ermöglichen, das Rätsel der Schwertrune zu lösen und diese ominöse Bruderschaft zu zerschlagen.«
»Also werden wir nicht länger nach Professor Gainswicks Fragment suchen?«
»Nein, mein Junge. Diese Kammer scheint mir sehr viel erfolgversprechender zu sein, als weiter nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen. Wir werden sofort beim Kurator vorsprechen. Vielleicht kann er uns weiterhelfen.«
Es war nicht so, dass der Kurator der Bibliothek ihnen nicht weiterhelfen konnte. Quentin kam es vielmehr so vor, als ob er ihnen nicht weiterhelfen wollte.
Zwar war der rundliche Mann mit dem Backenbart bemüht, höflich Auskunft zu geben, jedoch war unübersehbar, dass er sich fürchtete. Nervös erzählte er Sir Walter und seinem Neffen dieselbe Geschichte, die sie auch schon vom Bibliothekar gehört hatten: dass die Kammer vor langer Zeit verschlossen worden sei und man höchste Order habe, sie nicht wieder zu öffnen. Der Schlüssel dazu sei verschwunden, und natürlich verbiete es sich, das Schloss gewaltsam zu öffnen.
Sir Walter unternahm einige Versuche, ihn umzustimmen, aber schließlich musste er sich geschlagen geben – in der Beharrlichkeit des Kurators fand selbst er seinen Meister. Der Kurator empfahl ihnen schließlich, beim Königlichen Amt für Forschung und Wissenschaft einen offiziellen Antrag zu stellen, dessen Bearbeitung allerdings Wochen, wenn nicht Monate in Anspruch nehmen könnte und zudem wenig Aussicht auf Erfolg hätte.
Auch im Hinblick auf die Männer, die ebenfalls versucht hatten, Zugang zur Kammer zu erhalten, konnte der Kurator ihnen nicht mit Auskünften dienen.
Vor etwa sechs Wochen, sagte er, hätten zwei Männer, deren Auftreten und Erscheinung er als ›unheimlich‹ beschrieb, ebenfalls versucht, an den Schlüssel zu gelangen, aber natürlich hatte er auch ihnen den Zutritt zur Kammer verweigert. Da sie keine Namen genannt hatten und der Kurator sich auch nicht mehr erinnern konnte, wie die Männer ausgesehen hatten, erschien es Sir Walter aussichtslos, weiter nach Informationen zu fischen.
Er und sein Neffe traten daraufhin den Heimweg an. Natürlich hätten sie die Fragmentsammlung weiter durchsuchen können in der Hoffnung, auf Professor Gainswicks Fund zu stoßen. Aber dieses Vorgehen erschien ihnen wenig Erfolg versprechend, nun, da sie wussten, wo sich wohl die wahren Hinweise befanden, die zur Aufklärung dieses mysteriösen Falles führen könnten.
»Auf eine amtliche Erlaubnis zur Öffnung der Kammer zu warten wird zu lange dauern«, stellte Sir Walter fest, als sie wieder in der Kutsche saßen. »Ich werde deshalb einen Brief an den Justizminister aufsetzen. Als Vorsitzender des Obersten Gerichts habe ich das Recht, Durchsuchungen anzuordnen, wenn sie zur Lösung eines Falles beitragen.«
»Was meinst du, warum der Kurator uns nicht helfen wollte?«, fragte Quentin.
Sir Walter blickte seinen Neffen unverwandt an. »Du solltest nicht vergessen, dass in unserer Familie ich derjenige bin, der die schulmeisterlichen Fragen stellt«, erwiderte er schmunzelnd. »Du kennst die Antwort, sonst würdest du nicht so fragen.«
»Ich denke, der Mann hatte Angst. Und der Grund dafür ist, so glaube ich, bei den Männern zu suchen, die bei ihm vorgesprochen haben.«
»Das ist möglich.«
»Wenn diese Leute tatsächlich zur Bruderschaft der Runen gehören, beweist das, dass Professor Gainswick Recht hatte: dass es diese Sekte noch immer gibt und dass ihre Anhänger nach wie vor ihr Unwesen treiben.«
»Nein«, widersprach Sir Walter. »Es beweist zunächst nur, dass sich jemand für dieselben Dinge interessiert wie wir. Und dass ich dich nicht zu Professor Gainswick hätte mitnehmen sollen. Er ist ein Mann mit viel Fantasie, musst du wissen.«
»Aber sagtest du nicht vorhin selbst, dass die Runenbrüder …«
»Wir mögen es mit Wirrköpfen zu tun haben«, unterbrach ihn Sir Walter, »mit politischen Eiferern, die den alten Aberglauben dazu benutzen, sich zu tarnen und schlichte Gemüter wie den Kurator einzuschüchtern. Aber ich weigere mich zu glauben, dass diese Runenbrüder oder wie immer wir sie nennen wollen mit übernatürlichen Kräften im Bunde stehen. Was sie bislang verbrochen haben, war allerdings schrecklich genug: Ihnen sind Mord, Brandstiftung und Landfriedensbruch vorzuwerfen, womit sie sich keinen
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