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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Wünschen nachzukommen. Als sie jedoch erfuhren, welch hoher und berühmter Gast sie in ihren Hallen besuchte, änderten sie ihre Meinung rasch. Mit zuvorkommender Höflichkeit wurden Quentin und Sir Walter über steile Stufen in ein abgelegenes Kellergewölbe geführt. In einem länglichen, fensterlosen Raum reihten sich hölzerne Regale, in denen tausende von Schriften lagerten – teils aus Pergament, teils aus Papier, gebunden, lose oder gerollt.
    Der Bibliothekar fragte, ob Sir Walter etwas Bestimmtes suche und er ihm behilflich sein könne; Sir Walter jedoch verneinte und wünschte, mit seinem Neffen allein gelassen zu werden, worauf sich der Mann bereitwillig entfernte.
    »Hier sieht es aus wie in der Bibliothek von Kelso«, stellte Quentin fest und hielt seine Lampe so, dass er damit eine Seite des langen Gewölbes beleuchtete. Der Keller war so weitläufig, dass sich sein hinteres Ende in Dunkelheit verlor.
    »Mit dem Unterschied, dass die hiesigen Bibliothekare weniger Wert auf ihre alten Schätze zu legen scheinen«, fügte Sir Walter missbilligend hinzu und schaute sich um. In dem Raum war es feucht, dicker Schimmel überzog Wände und Decke. Zu sehen, wie das geschriebene Wort vergangener Generationen so geringschätzig dem Verfall überlassen wurde, tat ihm als Schriftsteller in der Seele weh.
    »Offensichtlich ist den Gelehrten der Universität nicht besonders am Fortbestand dieser Schriftstücke gelegen«, mutmaßte Quentin.
    »Oder es fehlt das Personal, um sie alle zu sichten und zu nummerieren. Viel zu lange haben wir das Vermächtnis unserer Vergangenheit sich selbst überlassen. Erinnere mich daran, dass ich dem Kuratorium der Bibliothek demnächst eine großzügige Spende zukommen lasse, damit dieser Missstand beseitigt wird.«
    »Weshalb?«, fragte Quentin mit der alten Mischung aus Unbekümmertheit und Naivität. »Warum ist es so wichtig, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, Onkel? Sollte die Zukunft uns nicht viel mehr interessieren?«
    »Würdest du behaupten, dass die Früchte an einem Apfelbaum wichtiger sind als seine Wurzeln?«, hielt Sir Walter dagegen.
    »Nun, die Äpfel kann ich essen, nicht wahr? Sie machen mich satt.«
    »Was für eine törichte Antwort!« Sir Walter schüttelte den Kopf. »Für kurze Zeit mögen die Äpfel deinen Magen füllen, aber der Baum wird keine weiteren Früchte mehr tragen. Die Wurzeln zu vernachlässigen heißt, die Früchte zu verlieren. Die Geschichte ist etwas Lebendiges, mein Junge, genau wie ein Baum. Sie gedeiht und wächst mit denen, die sie betrachten. Wenn wir unsere Vergangenheit aus den Augen verlieren, verlieren wir auch unsere Zukunft. Wenn wir sie jedoch regelmäßig studieren und uns ihrer bewusst sind, so vermeiden wir es, die Fehler vorangegangener Generationen zu wiederholen.«
    »Das leuchtet ein«, gab Quentin zu und schritt die Regale ab, die überquollen von welligem Papier und löchrigem Pergament. »Wie wollen wir in diesem Durcheinander jemals die Schrift finden, von der Professor Gainswick gesprochen hat?«
    »Eine gute Frage, mein Junge.« Sir Walter hatte sich der anderen Seite der Kammer zugewandt, wo das Chaos nicht weniger unüberschaubar war. »Wenn der gute Professor uns wenigstens einen Hinweis gegeben hätte, wo wir nach dem Fragment zu suchen haben. Aber er ist ja selbst nur aus Zufall darauf gestoßen und hat dem Schriftstück keine weitere Bedeutung beigemessen. Also wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als systematisch danach zu suchen.«
    »Systematisch, Onkel? Du meinst … wir sollen alle diese Schriftstücke sichten?«
    »Nicht alle, Neffe. Du vergisst, dass Professor Gainswick von einer Schrift aus Papier gesprochen hat. Die Pergamente und Palimpseste, die hier lagern, scheiden also von vornherein aus. Wir brauchen nur Mappen mit den Fragmenten und nicht zuzuordnenden Schriften durchzusehen.«
    »Natürlich«, versetzte Quentin mit seltener Keckheit. »Das dürften ja auch nur ein paar Tausend sein, nicht wahr?«
    »Manchmal, mein lieber Neffe, frage ich mich tatsächlich, wie viel vom Blut deiner Ahnen tatsächlich in dir fließt. Die Scotts waren schon immer mit einem übergroßen Maß an Optimismus und Tatkraft versehen. Sie scheuen vor keiner Mühe zurück, und sei sie noch so groß.«
    Quentin widersprach nicht mehr. Sein Onkel verstand es wie kein Zweiter, ihn dazu zu bringen, Dinge zu tun, die er normalerweise rundheraus abgelehnt hätte. Ihn auf die Familie anzusprechen war ein

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