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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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zu erreichen. Der Ordner mit den unzähligen Blättern entglitt ihm dabei; mit dumpfem Aufschlag landeten beide auf dem Boden, in einer Wolke von Staub und einem Wust von Blättern.
    »Quentin!«, polterte Sir Walter, der sich heftig erschreckt hatte. »Du bist doch ein Unglücksrabe! Was hast du nun wieder angestellt?«
    »I-ich weiß nicht«, stammelte Quentin verdattert und rieb sich den Staub aus den Augen. Als er sie blinzelnd wieder öffnete, sah er die Bescherung, die er angerichtet hatte: Umgeben von einem Schwall loser Blätter hockte er auf dem Boden und kam sich vor wie ein Lausejunge, den man bei einem Schelmenstreich erwischt hatte.
    »Du wirst das in Ordnung bringen«, verlangte Sir Walter streng, »und zwar auf der Stelle! Du wirst jedes einzelne Stück Papier aufsammeln und es dorthin zurücklegen, wo es gewesen ist, ehe du …«
    Er unterbrach sich plötzlich, und die Entrüstung in seinem Gesicht wich namenlosem Staunen. Nur bei wenigen Gelegenheiten hatte Quentin seinen Onkel so sprachlos erlebt.
    »Was ist?«, fragte der junge Mann verunsichert. »Habe ich noch etwas falsch gemacht?«
    Sir Walter antwortete noch immer nicht, sondern bückte sich und hob ein Schriftstück auf, das ihm direkt vor die Füße geflattert war. Ungläubig betrachtete er es, ehe er es seinem Neffen zeigte.
    »Heureka!«, rief Quentin – es war das Zeichen des Runenschwerts.
    Das Symbol war nicht ohne weiteres zu erkennen. Der Kalligraph hatte es in die Ornamente eingearbeitet, die den Rand der Seite zierten. Erst wenn man das Blatt auf die Seite drehte, trat der senkrechte Strich mit dem kreuzenden Bogen deutlich hervor.
    »Das kann kein Zufall sein«, sagte Sir Walter in seltener Aufregung. »Hol die Lampe, Junge, und bring sie zum Tisch. Und verzeih, dass ich dich einen Unglücksraben nannte. Wenn dies die Information ist, nach der wir suchen, kannst du dich in Zukunft mit Fug und Recht einen Glückspilz nennen.«
    Quentin rappelte sich auf und tat wie ihm geheißen. Im weißlichen Schein der Lampe begannen die beiden Männer zu lesen.
    Die Zeichen auf dem Fragment waren nicht einfach zu entziffern. Sie waren in alter Minuskelschrift gehalten, die zumindest Quentin einige Probleme bereitete. Sir Walter folgte jedem Zeichen mit dem Finger, während er dabei leise vor sich hin murmelte.
    »Hier steht etwas«, stellte er nach einer Weile fest. »Von ›secreta fraternitatis‹ ist hier die Rede.«
    »Vom Geheimnis einer Bruderschaft«, übersetzte Quentin und merkte, wie seine Nackenhaare sich sträubten.
    »Ja«, sagte Sir Walter, »und ein Stück weiter unten wird diese Bruderschaft näher erläutert. ›Fraternitas signorum vetatorum‹ heißt es hier – die Bruderschaft der verbotenen Zeichen.«
    »Mit verbotenen Zeichen könnten Runen gemeint sein«, überlegte Quentin. »Das würde bedeuten, dass von der Bruderschaft der Runen die Rede ist.«
    »Davon gehe ich aus, mein Junge. Hier unten finden sich noch weitere Hinweise darauf. Wie ich es verstehe, steht hier etwas von geheimen Treffen in Vollmondnächten und von Beschwörungen finsterer Geister und Dämonen ›ex aetatibus obscuris‹.«
    »Aus den dunklen Zeitaltern.« Quentin schauderte.
    »Offenbar hat sich der Verfasser dieser Schrift näher mit der Bruderschaft und ihren Gepflogenheiten beschäftigt. Hier erwähnt er sogar, wo sie ihre geheimen Treffen abzuhalten pflegt: ›in circulo saxorum‹.«
    »Im Kreis der Steine«, übersetzte Quentin.
    »Damit sind zweifellos die Menhire gemeint, die sich aus vorchristlicher Zeit erhalten haben«, erklärte Sir Walter. »Die Gelehrten streiten sich nach wie vor darüber, welchem Zweck sie einst gedient haben mögen. Vielleicht birgt dieses Fragment die Antwort darauf. Denn wenn der Verfasser dieser Schrift Recht hat, war ein Steinkreis der Versammlungsort der Sektierer. Hier trafen sie sich ›ad artes obscuras et interdictas‹.«
    »Zu dunklen und verbotenen Künsten«, sagte Quentin schaudernd und mit einer Stimme, die dem alten Geister-Max zur Ehre gereicht hätte. »Und so ist es noch heute.«
    »Ich will hoffen, dass du das nicht wirklich glaubst, mein lieber Neffe«, sagte Sir Walter ein wenig unwillig. »Dennoch, ich kann es nicht bestreiten … Vieles deutet darauf hin, dass die Aufrührer, die in Kelso und in Abbotsford zugeschlagen haben, sich auf diesen alten Hokuspokus berufen, um bei einfältigen Gemütern Angst und Schrecken hervorzurufen. Aber du wirst doch nicht annehmen, dass diese Leute

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