Die Bruderschaft der Runen
leise, als Sir Walter daranging, den Kamin mit dem Knauf seines Stocks abzuklopfen. Eine hohle Stelle schien es jedoch nicht zu geben.
»Es kann kein Zufall sein«, überlegte er laut. »Diese Zeichen müssen etwas zu bedeuten haben. Sie sind ein Hinweis, eine Spur …«
Er trat einen Schritt zurück und nahm den Kamin als Ganzes in Augenschein. Dabei bemerkte er einen Luftzug an seiner rechten Hand.
»Seltsam«, war alles, was er dazu sagte.
Er trat vor und zurück, bald nach links und bald nach rechts, versuchte herauszufinden, woher der Zug kam. Zu seiner Überraschung rührte er nicht vom Rauchabzug her, was nahe liegend gewesen wäre, sondern war ganz dicht über dem Boden zu fühlen, aus der Richtung des von Asche bedeckten Rosts.
»Der Kaminrost, mein Junge«, wandte er sich an Quentin. »Könntest du ihn bitte für mich entfernen?«
»Natürlich, Onkel.« Ohne Zögern trat Quentin vor, packte das schmiedeeiserne Gebilde und zerrte es aus dem Kamin. Dass dabei Schwaden von Ruß aufwölkten und er im Aussehen einem Kohlengräber ähnlich wurde, kümmerte ihn nicht.
Unter dem Rost befand sich eine Steinplatte, die ebenfalls rußbedeckt war. Auf die Bitte seines Onkels hin säuberte Quentin sie mit seiner Hand – und gab einen hellen Schrei von sich, als darunter die Schwertrune sichtbar wurde, eingeritzt in den alten Stein.
»Das gibt es nicht!«, rief er begeistert. »Du hast es geschafft, Onkel! Du hast es gefunden!«
»Wir, mein Junge«, verbesserte Sir Walter mit zufriedenem Lächeln. »Wir haben es gefunden.«
Auch Abt Andrew und seine Mitbrüder waren sofort zur Stelle. Staunend blickten sie auf die Entdeckung.
»Ich wusste, dass Sie uns nicht enttäuschen würden, Sir Walter«, meinte Abt Andrew. »Der Herr hat Sie und Ihren Neffen mit besonderem Scharfsinn gesegnet.«
»Abwarten«, sagte Sir Walter. »Was wir jetzt brauchen, ist etwas Werkzeug. Ich nehme an, dass sich unter der Bodenplatte des Kamins ein Hohlraum befindet. Mit etwas Glück finden wir dort, wonach wir suchen.«
Abt Andrew schickte zwei seiner Mitbrüder los, um die verlangten Gegenstände zu holen – einen schweren Hammer und eine Hacke, mit denen Quentin der Steinplatte zu Leibe rückte. Mehrmals dröhnte es dumpf, als er den Hammer mit voller Wucht auf die Platte niedersausen ließ. Endlich bekam der Stein Sprünge. Mit der Hacke setzte Quentin nach und legte eine Öffnung frei, die zwei Ellen im Quadrat maß. Undurchdringliche Schwärze starrte den Männern daraus entgegen.
»Kerze«, verlangte Quentin aufgeregt und griff nach dem Kandelaber, den man ihm reichte, um damit in die Öffnung zu leuchten.
»Und?«, fragte Sir Walter ungeduldig. »Was kannst du sehen?«
»Haben Sie das Schwert gefunden, Master Quentin?«, wollte Abt Andrew wissen.
»Nein. Aber es gibt hier einen Schacht. Und einen Gang, der darunter verläuft, eine Art Stollen …«
Sir Walter und der Abt tauschten überraschte Blicke. »Ein Stollen?«, fragte Sir Walter mit hochgezogenen Brauen.
»Davon ist mir nichts bekannt.«
»Möglicherweise ein Geheimgang. In früheren Zeiten war es durchaus nicht ungewöhnlich, sich für Krisenzeiten eine Hintertür offen zu halten.«
»Ich werde mir das mal ansehen«, verkündete Quentin – und noch ehe Sir Walter etwas dagegen sagen konnte, sprang er schon mitsamt dem Kerzenleuchter hinunter.
Sir Walter und Abt Andrew eilten zum Rand der Öffnung und blickten hinab. Etwa drei Yards tiefer gewahrten sie Quentin, aufrecht in einem Stollen stehend.
»Das ist unglaublich«, rief Quentin herauf, und seine Stimme hallte leicht. »Vor mir liegt ein Gang, aber ich kann nicht sehen, wohin er führt.«
»Wir brauchen mehr Licht«, verlangte Sir Walter, woraufhin einer der Mönche zwei Fackeln hinabwarf, die Quentin an den Kerzen entzündete.
»Es ist ein ziemlich langer Gang«, meldete er. »Das Ende kann ich noch immer nicht sehen. Nach etwa zwanzig Yards beschreibt der Gang eine Biegung.«
»In welche Richtung?«, wollte Sir Walter wissen.
»Nach links.«
»Hm.« Sir Walter überlegte. »Der Gang verläuft in nordwestlicher Richtung. Wenn er zusätzlich noch eine Biegung nach links beschreibt, führt ihn das genau auf Edinburgh Castle zu.«
»Sie haben Recht.« Abt Andrew nickte.
»Möglicherweise handelt es sich also nicht um einen Fluchtweg für dieses Haus, wie wir zunächst angenommen haben, sondern um einen Geheimgang aus der Burg, der in dieses Gebäude mündet.«
»Es wird berichtet, dass
Weitere Kostenlose Bücher