Die Bruderschaft der Runen
ersticken. »Kein Wunder, dass es die Jahre gut überdauert hat. Allerdings frage ich mich, weshalb niemand wusste, wo das Schwert abgeblieben war. Schließlich muss einer der Aufständischen damals aus dem Stollen entkommen sein.«
»Das stimmt«, pflichtete Abt Andrew bei. »Als die Regierungstruppen vorrückten, flohen die Runenbrüder wohl in den Geheimgang, damit das Schwert nicht in englische Hände fiel. Dabei kam es – möglicherweise durch Artilleriebeschuss – zum teilweisen Einsturz des Stollens. Das Schwert ging verloren, aber einigen Widerständlern gelang es zu fliehen. Sie lieferten sich ein Gefecht mit Regierungssoldaten, die den Geheimgang vielleicht zufällig entdeckt und gestürmt hatten. Wie Sie schon sagten, Sir Walter, hat offenbar keiner von ihnen den Kampf überlebt, sonst wäre die Existenz des Stollens schon früher bekannt geworden.«
»Mindestens einer der Aufständischen«, spann Sir Walter den Faden weiter, »hingegen hat überlebt. Er war es, der den Geheimgang verschlossen und den Kamin mit den Hinweisen versehen hat. Die Frage ist nur, weshalb das Wissen um den geheimen Stollen verloren ging.«
»Sehr einfach«, sagte plötzlich eine Stimme aus der dunklen Tiefe des Stollens. »Weil jener Überlebende kurz darauf erschossen wurde und niemandem sein Geheimnis anvertrauen konnte.«
Sir Walter, Abt Andrew und Quentin wandten sich erschrocken um und hoben ihre Fackeln. Im flackernden Licht erkannten sie dunkle Gestalten in weiten Kutten. Die Masken vor ihren Gesichtern waren rußgeschwärzt. In den Händen hielten sie Pistolen und blankgezogene Säbel.
»Sieh an«, sagte Sir Walter ungerührt. »Unsere Gegenspieler haben das Rätsel also ebenfalls gelöst – wenn auch erst nach uns, wenn ich das anmerken darf.«
»Schweigen Sie!«, kam es barsch zurück – und mit einer Stimme, die Sir Walter und seinen Begleitern sehr bekannt vorkam.
»Dellard?«, fragte Abt Andrew.
Der Anführer der Vermummten lachte. Dann griff er nach seiner Maske und nahm sie ab. Darunter erschienen tatsächlich die asketischen Züge des königlichen Inspectors, der jetzt voller Häme grinste.
»In der Tat, werter Abt. So sehen wir uns also wieder.«
Abt Andrew schien nicht überrascht zu sein, anders als seine Begleiter. Während Quentin den Inspector anstarrte wie ein leibhaftiges Gespenst, färbten Sir Walters Züge sich zornesrot.
»Dellard«, empörte er sich. »Was hat das zu bedeuten? Sie sind ein Offizier der Krone! Sie haben einen Eid auf König und Vaterland geleistet!«
»Ihrer Entrüstung, Sir, kann ich entnehmen, dass es mir gelungen ist, den großen Walter Scott hinters Licht zu führen. Eine Leistung, die, wie ich finde, großen Respekt verdient. Schließlich ist Ihr Scharfsinn weithin bekannt.«
»Sie haben sicher Verständnis, wenn ich Ihnen keinen Beifall zolle. Wie konnten Sie nur, Dellard? Sie haben uns alle getäuscht. Sie haben vorgegeben, gegen die Sektierer zu ermitteln – dabei gehören Sie selbst zu ihnen!«
»Sich mit einem Schafsfell zu tarnen war für Wölfe schon immer eine wirkungsvolle List«, beschied Dellard grinsend. »Außerdem sollten gerade Sie mein kleines Täuschungsmanöver zu schätzen wissen, Sir Walter.«
»Wovon sprechen Sie?«
»Denken Sie nach, Scott – Sie haben das alles doch erst möglich gemacht. Indem Sie Slocombe die Ermittlungen wegnahmen und sie mir übertrugen, taten Sie uns unwissentlich einen großen Gefallen. Dann allerdings haben Sie sich mit Ihrer Neugier und Beharrlichkeit mehr und mehr zu einem Ärgernis entwickelt, wie ich gestehen muss.«
»Ist das der Grund, weshalb ich Abbotsford um jeden Preis verlassen sollte?«
»Sieh an, der alte Scharfsinn kehrt zurück«, spottete Dellard. »Aber Sie haben Recht. Anfangs ging es uns tatsächlich darum, Sie und Ihren Neffen loszuwerden. Dann jedoch wurde uns klar, dass Sie viel nützlicher für uns sein würden, wenn Sie für uns statt gegen uns arbeiten würden. Also haben wir Sie nach Edinburgh geschickt, damit Sie für uns nach dem Schwert suchten. Und wie man sehen kann«, fügte er mit einem Blick auf das Schwert hinzu, das Quentin in den Händen hielt, »sind Sie erfolgreich gewesen.«
Er nickte seinen Schergen zu, die mit erhobenen Waffen vortraten. Abt Andrew jedoch stellte sich schützend vor Quentin. »Nein«, sagte er mit fester Stimme. »Das Schwert bekommen Sie nicht, Dellard. Nur über meine Leiche!«
»Und? Glauben Sie, ich hätte Skrupel, Sie zu töten?
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