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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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in den Salon, einen von knisterndem Kaminfeuer erwärmten Raum, von dessen großen Fenstern man einen Blick auf den Tweed genoss. Mit unverhohlener Neugier blickte Dellard sich um.
    »Wenn die Gentlemen hier warten möchten«, sagte der Verwalter und zog sich zurück. Ihm war deutlich anzusehen, dass er sich in der Gegenwart des Engländers unwohl fühlte.
    John Slocombe erging es nicht anders. Hätte der Sheriff die Möglichkeit dazu gehabt, hätte auch er am liebsten das Weite gesucht. Aber wenn er seine Arbeit behalten wollte, musste er sich fügen. Überhaupt lag es an Sir Walter, die Dinge wieder gerade zu rücken. Er war es gewesen, der darauf bestanden hatte, die Garnison zu verständigen. Sollte er selbst sehen, wie er die Engländer wieder loswurde.
    Es dauerte nicht lange, bis im Nebenzimmer Schritte zu hören waren. Die Tür wurde geöffnet, und Sir Walter trat ein, wie immer in einen schlichten Rock gekleidet. Wie so oft verrieten dunkle Ränder um seine Augen, dass er die letzten Nächte nur wenig geschlafen hatte.
    Sein Neffe Quentin war bei ihm, was Slocombes Laune noch weiter sinken ließ. Er mochte den schlaksigen jungen Mann mit dem blassen Gesicht nicht so recht leiden. In seinen Augen trug er die Schuld am Brand in der Bibliothek und hatte sich die Sache mit dem unheimlichen Besucher nur ausgedacht, um von sich abzulenken. Und nun hatten sie die Garnison auf dem Hals.
    »Sir Walter, wie ich annehme?«, fragte Inspector Dellard, ohne dem Herrn des Hauses Gelegenheit zu geben, sich vorzustellen. Seine Direktheit verriet seine militärische Herkunft.
    »Richtig«, bestätigte Sir Walter und näherte sich mit skeptischem Blick. »Und mit wem habe ich die Ehre?«
    Dellard verbeugte sich zackig. »Charles Dellard, Inspector im Regierungsauftrag«, stellte er sich vor. »Man hat mich geschickt, um die Vorfälle in der Bibliothek von Kelso zu untersuchen.«
    Sir Walter und sein Neffe tauschten einen verwunderten Blick.
    »Ich muss zugeben«, sagte der Herr von Abbotsford darauf, »dass ich ebenso überrascht wie geschmeichelt bin. Zum einen hatte ich nicht zu hoffen gewagt, dass man einen Inspector der Regierung schicken würde, um den Fall zu untersuchen. Zum anderen wurde ich nicht über Ihr Kommen unterrichtet.«
    »Dafür bitte ich um Vergebung«, erwiderte Dellard. Der fordernde, arrogante Ton war aus seiner Stimme verschwunden und samtiger Beflissenheit gewichen. »Es blieb leider keine Zeit, Sie über meine Ankunft in Kenntnis zu setzen. Wenn wir herausfinden wollen, was in Kelso geschehen ist, dürfen wir keine Zeit verlieren.«
    »Das ist natürlich in unserem Sinn«, stimmte Sir Walter zu. »Darf ich Ihnen meinen Neffen Quentin vorstellen, Inspector? Er ist Augenzeuge. Der Einzige, der den Vermummten gesehen hat.«
    »Ich habe den Bericht gelesen«, erwiderte Dellard und deutete abermals eine Verbeugung an. »Sie sind ein außerordentlich mutiger junger Mann, Master Quentin.«
    »D-danke, Inspector.« Quentin errötete. »Ich fürchte allerdings, dass ich Ihr Lob nicht verdiene. Als ich den Vermummten sah, bin ich geflüchtet und ohnmächtig geworden.«
    »Jeder nach seinen Fähigkeiten«, versetzte Dellard mit süffisantem Grinsen. »Dennoch sind Sie mein wichtigster Zeuge. Sie müssen mir alles berichten, was Sie gesehen haben. Jedes noch so kleine Detail kann helfen, den Täter zu fassen.«
    »Sie sind also auch der Ansicht, dass es sich um Mord handelt?«, fragte Sir Walter.
    »Nur ein blinder Idiot mit den kriminalistischen Fähigkeiten eines Ochsen kann das ernstlich leugnen wollen«, sagte der Inspector mit einem strafenden Seitenblick auf Slocombe.
    »Aber Sir«, verteidigte sich der Sheriff, dem die Schamröte ins Gesicht gestiegen war. »Abgesehen von der Aussage des jungen Masters gibt es keinen Anhaltspunkt, der auf einen Täter schließen ließe.«
    »Das stimmt nicht ganz«, widersprach Sir Walter. »Sie vergessen die Stofffasern, die an Jonathans Leichnam gefunden wurden.«
    »Aber das Motiv?«, wollte Slocombe wissen. »Wo liegt das Motiv des Täters? Weshalb sollte jemand in die Bibliothek von Dryburgh eindringen und einen wehrlosen Studenten ermorden? Und warum sollte es dieser Jemand anschließend darauf anlegen, das Gebäude niederzubrennen?«
    »Vielleicht, um Spuren zu verwischen?«
    Quentin hatte nur leise gesprochen, aber jetzt richteten sich aller Augen auf ihn.
    »Ja, junger Herr?«, fragte Dellard mit prüfendem Blick. »Sie haben einen Verdacht?«
    »Nun, ich …«

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