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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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anzufordern. Und Slocombe, dessen Freiheiten dadurch erheblich eingeschränkt wurden, war nichts anderes übrig geblieben, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Scott schien geradezu vernarrt zu sein in den Gedanken, dass ein Mörder in Kelso umging, und er ließ sich durch nichts und niemanden vom Gegenteil überzeugen.
    Slocombe hatte beschlossen, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen und die Erniedrigung über sich ergehen zu lassen. Doch wie sich gezeigt hatte, schlug der Fall wesentlich höhere Wellen, als es ihm oder irgendjemandem sonst, der im Grenzland wohnte, recht sein konnte. Vielleicht hing es damit zusammen, dass Scott eine Berühmtheit war und man seine Romane sogar am königlichen Hof las. Jedenfalls war die Sache nach London gemeldet worden, und schon wenige Tage später war Dellard in Kelso aufgetaucht: ein Regierungsinspektor, der angekündigt hatte, den Fall lückenlos aufklären zu wollen. Ob es ihm gefiel oder nicht – Slocombe war zu seinem Handlanger degradiert worden, dem nichts anders übrig blieb, als zu kooperieren oder eine gut bezahlte Stelle in Gemeindediensten zu verlieren.
    »Ich hasse diese endlosen Hügel und Wälder«, beschwerte sich Dellard mit einem Blick aus dem Fenster. »Die Zivilisation ist in diesem rauen Landstrich so spärlich gesät wie die Bildung seiner Bewohner, wie mir scheint. Ist es noch weit bis zu Scotts Landsitz?«
    »Nicht mehr weit, Sir«, antwortete Slocombe beflissen. »Abbotsford liegt unmittelbar am Ufer des Tweed, unweit von …«
    »Das genügt. Ich bin nicht gekommen, um Geografiestudien zu betreiben, sondern um einen Mordfall aufzuklären.«
    »Natürlich, Sir. Wenn Sie mir den Einwand erlauben – es ist noch immer nicht erwiesen, dass es sich um Mord handelt.«
    »Diese Entscheidung sollten Sie mir überlassen.«
    »Natürlich, Sir.«
    Die Kutsche verließ den Wald, der das Flussufer säumte, und näherte sich einem aus Natursteinen errichteten Tor, dessen Gatter weit offen stand. Kutsche und Reiter passierten die Durchfahrt und folgten der Straße zu dem imposanten Gebäude, das sich an ihrem Ende erhob. Die Ansammlung von Mauern, Türmen und Zinnen aus behauenem Sandstein erinnerte an eine mittelalterliche Burg.
    »Ist es das?«, wollte Dellard wissen.
    »Ja, Sir. Das ist Abbotsford.«
    »Scott scheint jemand zu sein, der die Vergangenheit pflegt.«
    »Das ist wahr. Viele sagen, dass er die Seele Schottlands verkörpert.«
    »Das scheint mir doch ein wenig hoch gegriffen. Man hat mir in London von diesem Gebäude erzählt und auch davon, wie geschmacklos es sämtliche Stilrichtungen mischt. Immerhin scheint Scott Geld zu besitzen, was hier im Norden nicht allzu üblich ist.«
    Der Kutscher zügelte die Pferde, und die Droschke kam zum Stehen. Diensteifrig stieg Slocombe aus, um seinem Vorgesetzten das Trittbrett auszuklappen, was Dellard wie selbstverständlich geschehen ließ. Mit der gravitätischen Gelassenheit des Machtgewohnten stieg er aus der Kutsche und bedachte den Hausverwalter, der ihm mit verwunderter Miene entgegen kam, mit einem geringschätzigen Blick.
    »Guten Morgen, Sir«, sagte der Verwalter, ein vierschrötiger Mann mit groben Händen, der sich besser auf die Versorgung von Pferden verstand als auf den Umgang mit hohem Besuch. Zögernd verbeugte er sich. »Was führt Sie zu uns?«
    »Ich möchte Sir Walter sprechen«, verlangte Dellard mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Sofort.«
    »Aber Sir.« Der Hausverwalter bedachte ihn mit einem verwunderten Blick. »Ich glaube nicht, dass Sie gemeldet sind. Sir Walter ist ein viel beschäftigter Mann, der …«
    »Zu beschäftigt, um einen hohen Beauftragten der Regierung zu empfangen?« Dellard hob die schmalen Brauen. »Das sollte mich wundern.«
    »Wen darf ich melden?«, fragte der Bedienstete eingeschüchtert.
    »Inspector Charles Dellard aus London.«
    »Sehr wohl, Sir. Wenn Sie mir bitte folgen möchten.«
    Der Verwalter machte eine unbeholfene Handbewegung und wies den Besuchern den Weg ins Haus. Mit einem Wink bedeutete Dellard seiner Eskorte – acht Reitern, die die roten Uniformen der britischen Dragoner trugen – abzusitzen und auf ihn zu warten. Slocombe hingegen gab er ein Zeichen, ihm ins Haus zu folgen.
    Durch das von Rosen umrankte Tor betraten die drei Männer den Hof des Anwesens. Vorbei am Springbrunnen, der die Mitte des Gartens einnahm, gelangten sie in die Eingangshalle. Von hier aus führte der Verwalter Dellard und Slocombe

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