Die Bruderschaft der Runen
hatten sie einen ganzen Kreis gebildet: dreizehn große Steine, jeder an die fünf Tonnen schwer. Die Erinnerung daran, wie sie an ihren Platz gelangt und es gelungen war, sie aufzurichten, war verloren gegangen – das Wissen um ihre Kraft aber hatte sich erhalten. Viele der Steine waren umgestürzt, und die großen, massiven Cairns aus Fels lagen verstreut um den magischen Kreis.
Seine Bedeutung jedoch hatte der Ort behalten.
Drei Jahrtausende, die seit der Errichtung des Steinkreises verstrichen waren, hatten den Kräften, die hier wohnten, nichts anhaben können, und noch immer kamen jene hierher, die ihnen frönten.
Die Prozession, die sich dem Steinkreis näherte, bot einen schaurigen Anblick. Vermummte Gestalten, die je zu zweien nebeneinander gingen, die Häupter gesenkt. Sie trugen Roben aus dunklem Stoff, der das Mondlicht zu schlucken schien. Weit und fließend umwallte er sie, während sie dem Steinkreis entgegengingen und dabei leise vor sich hin murmelten, Worte einer Sprache, die die Welt schon vor langer Zeit vergessen hatte, Laute aus dunkler, heidnischer Zeit. Das Licht der Zeitenwende hatte sie hinweggefegt, und dennoch waren sie nicht ganz vergessen; düstere Herzen hatten sich ihrer erinnert und sie bis in die Gegenwart hinein bewahrt. Von Generation zu Generation waren sie weitergegeben worden und hatten so die Jahrtausende überdauert – und mit ihnen der alte Glaube.
Der Anführer der Sektierer ritt seinen Leuten auf einem schneeweißen Pferd voraus. Wie sie war auch er in eine weite Robe gekleidet, die seine Gestalt verhüllte, jedoch war seine Kleidung von fahlweißer Farbe, die im Mondlicht leuchtete und ihn wie einen Abgesandten aus einer anderen, mystischen Welt wirken ließ.
Als der Zug den Steinkreis erreichte, schwoll der Gesang an, veränderte sich in Rhythmus und Tonfall. Eben noch hatte er sich unterwürfig und klagend angehört – jetzt klang er drängend und fordernd.
Die Zeit des Wartens näherte sich ihrem Ende.
Die Gestalten, die die Kapuzen ihrer Roben tief in die Gesichter gezogen hatten, verteilten sich auf dem Platz, den die Steine umschlossen. Dabei bewegten sie sich langsam und seltsam leblos, fast wie in Trance. Jeder kannte seinen Platz, wusste um seine Bedeutung im Kreis.
Der Anführer lenkte den Schimmel in die Mitte des Kreises, wo ein einfacher Steinblock stand, der in alter Zeit als Opfertisch gedient hatte. Die dunklen Blutflecke ließen erahnen, dass er diesen Zweck noch immer erfüllte.
Der Mann stieg von seinem Pferd, dessen Fell im Mondschein matt schimmerte und ihm eine unirdische Aura verlieh. Gemessenen Schrittes trat er an den Steintisch und hob die Arme. Augenblicklich verstummte der Gesang. In einer bedächtigen, fast theatralischen Geste griff sich der Mann an die Kapuze seiner weißen Robe und schlug sie zurück.
Darunter kamen unbewegte, starre Züge aus schimmerndem Metall zum Vorschein: eine Maske aus Silber, die das Gesicht bedeckte und nur die Augen frei ließ und in die Zeichen von alter, unheimlicher Bedeutung graviert waren. Seine Anhänger taten es ihm gleich, und auch unter ihren dunklen Kapuzen kamen Masken zum Vorschein – aus Holz geschnitzte Fratzen, die mit Ruß geschwärzt worden waren.
»Brüder«, erhob das Oberhaupt seine Stimme, die in der Nacht glasklar zu vernehmen war. »Ihr kennt den Grund für unsere Zusammenkunft. Die Zeit der Erfüllung ist nicht mehr fern, und noch immer haben wir nicht gefunden, wonach wir suchen. Wir haben Spuren, die wir verfolgen, aber feindliche Mächte haben sich erhoben und stellen sich uns in den Weg.«
»Tod!«, brüllte einer der Vermummten und riss seine Faust in die Höhe. »Tod und Verderben unseren Feinden!«
»So verlangen es die Runen«, sagte der, der vorn am Opfertisch stand. »Aber sie sagen auch, dass die Brüder des Schwertes auf der Hut sein müssen. Denn wenn sie entdeckt werden, ehe sie das Erbe angetreten haben, das ihnen von Rechts wegen zusteht, können sie besiegt werden. Wir sind nicht unbezwingbar, meine Brüder, noch nicht; wir müssen vorsichtig sein bei allem, was wir tun. Der Zwischenfall an der Brücke hätte niemals geschehen dürfen. Ich habe die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und dafür gesorgt, dass sie unsere Bruderschaft niemals wieder gefährden werden. Dennoch müssen wir uns vorsehen. Solange sich die Prophezeiung nicht erfüllt hat, sind wir verwundbar.«
Betretenes Schweigen machte sich breit. Der Anführer, der um die Macht seiner
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