Die Bruderschaft der Runen
Frau eines Lairds voller Aufopferung und Pflichten ist, sodass dir für solch lächerlichen Müßiggang keine Zeit bleiben wird.«
»Verzeihen Sie, dass ich Ihnen erneut widerspreche, Mylady, aber ich betrachte die Beschäftigung mit Büchern durchaus nicht als Müßiggang. Walter Scott pflegt zu sagen, dass …«
»Walter Scott? Wer ist das?«
»Ein großer Schriftsteller, Mylady. Und ein Schotte.«
»Das ist unser Stallbursche auch. Was heißt das schon? Sieh mich an, mein Kind. Auch in meinen Adern fließt das Blut des alten Schottland, und dennoch haben weder ich noch mein Sohn etwas gemein mit diesem derben, faulen Bauernvolk, das auf unseren Ländereien sitzt und sie daran hindert, Gewinn abzuwerfen.«
Ihre Stimme war laut und unerbittlich geworden, ihre Züge noch um einiges härter. Dann jedoch schien sie sich zu besinnen, und auf ihrem Gesicht zeigte sich die Andeutung eines Lächelns.
»Wir wollen nicht darüber sprechen«, sagte sie. »Jetzt noch nicht, mein Kind. Du bist gerade erst angekommen und sicher müde von der langen Reise. Wenn du erst eine Weile hier bist, wirst du wissen, wovon ich rede, und meine Meinung teilen.«
Sie gab den Dienern ein Zeichen, das wenige Gepäck der Frauen ins Haus zu tragen. »Ich werde Daphne anweisen, dir dein Zimmer zu zeigen. Anschließend soll sie dir ein Bad einlassen, damit du dich frisch machen kannst. Schließlich sollst du deinem Bräutigam gefallen, wenn er dich zum ersten Mal sieht.«
»Wo ist Malcolm?«, fragte Mary erwartungsvoll. »Wann werde ich ihn sehen?«
»Mein Sohn, der Laird, ist zur Jagd ausgeritten«, beschied Eleonore kühl. »Er wird erst morgen zurückerwartet. Bis dahin hast du Zeit, dich einzugewöhnen. Ich werde dich mit einigen von meinen Kleidern ausstatten, bis die Schneiderin neue für dich gefertigt hat. Daphne, meine Kämmerin, wird dich ankleiden.«
»Verzeihung, Mylady, aber ich habe meine eigene Zofe. Kitty hat mich auf meinen ausdrücklichen Wunsch begleitet. Sie soll auch weiterhin in meinen Diensten bleiben.«
»Das wird nicht nötig sein, mein Kind«, sagte die Burgherrin und musterte Kitty mit einem abschätzigen Blick. »Der Laird von Ruthven ist durchaus in der Lage, dich mit eigenem Personal zu versorgen. Deine Zofe kann zurück nach Egton fahren. Du hast keine Verwendung mehr für sie.«
»Was?« Kitty sandte Mary einen hilflosen Blick. »Bitte, Mylady …«
»Wer hat dir gestattet, die Stimme zu erheben?«, fragte Eleonore spitz. »Habe ich dich nach deiner Meinung gefragt, Mädchen?«
»Bitte seien Sie ihr nicht böse, Mylady«, bat Mary. »Es ist meine Schuld, wenn Kitty nicht weiß, wo die Grenzen ihres Standes liegen. Sie ist mehr als eine Dienerin für mich. In den letzten Jahren ist sie mir zur treuen Begleiterin und Freundin geworden. Deshalb möchte ich Sie in aller Form ersuchen, dass Kitty bleiben darf.«
»Eine Dienerin ist deine Freundin?« Aus Eleonores Blicken sprach Unverständnis. »Der Süden pflegt seltsame Sitten. Im Norden jedoch huldigen wir den Traditionen. Auch daran wirst du dich gewöhnen.«
»Wie Mylady wünschen.«
»Von mir aus kann deine Zofe bleiben. Aber es gelten keine Sonderrechte für sie.«
»Natürlich nicht. Danke, Mylady.«
»Geh jetzt und finde dich in dein neues Zuhause ein. Wenn der Laird morgen nach Hause kommt, soll er alles zum Besten vorfinden. Auch seine zukünftige Frau.«
»Natürlich, Mylady«, sagte Mary und senkte ergeben ihr Haupt. Eleonore of Ruthven nickte, dann wandte sie sich ab und wollte zurück ins Haus.
»Mylady?«, rief Mary ihr nach.
»Was ist noch?«
»Ich danke Ihnen für den gütigen Empfang. Ich werde mich bemühen, den Erwartungen gerecht zu werden, die man an mich stellt. Ruthven soll meine neue Heimat werden.«
Einen Augenblick lang schien es, als wollte die Burgherrin etwas erwidern. Abermals nickte sie jedoch nur und ließ Mary und Kitty auf dem Burghof zurück. Schweigend blickten die jungen Frauen ihr nach, und beide hatten das Gefühl, dass etwas von der Kälte, die Eleonore of Ruthven verströmt hatte, zurückgeblieben war.
In ihrer ersten Nacht auf Burg Ruthven schlief Mary schlecht. Unruhig wälzte sie sich hin und her, und obwohl sie nicht wach war, hatte sie auch nicht das Gefühl zu schlafen. Fast war es, als würfen die hohen Türme und Mauern der Burg düstere Schatten auf ihre Träume.
Erneut sah sie die junge Frau, die auf dem Rücken eines weißen Hengstes durch die Highlands geritten war – eine Ewigkeit schien
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