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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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seit jenem Traum verstrichen zu sein. Mary erkannte die Reiterin an ihrer zierlichen Gestalt, der schlichten, ruhigen Schönheit und dem langen dunklen Haar.
    Diesmal jedoch saß sie nicht auf einem Pferd, und sie empfand auch nicht jenes Gefühl von Freiheit, das sie sonst verspürte, wenn der Wind ihr Haar zerzauste und der erdige Geruch des Hochlands ihre Lungen füllte. Diesmal war ihr Herz bedrückt, traurig und voller Sorge.
    Die junge Frau stand auf dem Söller einer Burg, an eine der Zinnen gelehnt, und starrte auf das raue Hügelland, das sich jenseits der Schlucht erstreckte. Die Sonne war dabei, im nebligen Dunst zu versinken, der wie jeden Abend emporstieg. Rot stand sie über dem Horizont und gab dem Land den Anschein, als sammelten sich Seen von Blut in den Senken. Die junge Frau sah darin ein schlechtes Omen, und Mary konnte ihre Furcht deutlich fühlen.
    »Gwynn?«
    Als ihr Name gerufen wurde, wandte sich die junge Frau um. Sie trug ein schlichtes Kleid aus Leinen, die Füße waren nackt. Dennoch fror sie nicht. Sie war an das raue Klima der Highlands gewöhnt, war hier geboren und aufgewachsen.
    Der Mann, der ihren Namen gerufen hatte, war jung, eben erst dem Knabenalter entwachsen. Er trug einen Plaid aus rotbraun gefärbter Wolle, der um seine Hüften und Schultern geschlungen war. Ein lederner Gürtel, an dem ein kurzes Breitschwert hing, hielt den Tartan zusammen. Die Ähnlichkeit des jungen Mannes mit der Frau war nicht zu übersehen: die gleichen edlen Züge, die gleichen blauen Augen, das gleiche schwarze Haar, das dem jungen Krieger offen bis auf die Schulter wallte. Sein Kinn aber war breiter und energischer als das der Schwester, die Mundwinkel herabgezogen. Hass und Trauer sprachen daraus, und Gwynn erschrak, als sie ihren Bruder so erblickte.
    »Du brauchst nicht länger Ausschau zu halten«, sagte er mit einer Kälte, die sie erschaudern ließ. »Vater wird nicht zurückkehren.«
    »Was ist geschehen, Duncan?«
    »Ein Bote hat Kunde gebracht aus Sterling«, gab der junge Mann mit bebender Stimme zur Antwort. »Der Sieg gegen die Engländer wurde errungen, aber viele tapfere Krieger sind gefallen, auch von unserem Clan.«
    »Wer?«, fragte Gwynn, obwohl sie sich vor der Antwort fürchtete.
    »Fergus. John. Braen. Unser Cousin Malcolm. Und unser Vater.«
    »Nein«, sagte Gwynn leise.
    »Der Bote hat berichtet, dass er bis zuletzt gekämpft und zehn englische Ritter besiegt habe. Dann traf ihn ein Pfeil aus den Reihen des Feindes. Ein Pfeil, der William Wallace gegolten hatte. Doch Vater warf sich in seinen Flug und fing ihn ab, mit seinem eigenen Herzen. Er soll sofort tot gewesen sein, während Wallace es nicht einmal bemerkte.«
    Gwynns Augen füllten sich mit Tränen. Den ganzen Tag über hatte sie auf Nachricht vom Schlachtfeld gewartet, und tief in ihrem Innern hatte sie gefürchtet, etwas Schreckliches könne geschehen sein. Bis zuletzt hatte sie gehofft. Die Worte ihres Bruders aber machten alle Hoffnung zunichte.
    In einer hilflosen Geste breitete Duncan die Arme aus, und Gwynn stürzte zu ihm. Die Geschwister umarmten sich in ihrer Trauer, klammerten sich aneinander wie Kinder, die Trost suchten.
    »Ich hätte mit ihm gehen sollen«, sagte Duncan leise, mit den Tränen kämpfend. Sein Vater hatte ihm beigebracht, dass ein Hochländer niemals vor einer Frau Tränen vergoss, und gerade jetzt wollte er nicht versagen. »Ich hätte an seiner Seite kämpfen sollen, so wie Braen und Malcolm.«
    »Dann wärst du jetzt ebenfalls tot«, schluchzte Gwynn, »und ich wäre allein.«
    »Ich hätte ihn retten können. Ich hätte ihn davon abgehalten, sein Leben für diesen William Wallace zu opfern, der sich einbildet, uns von den Engländern befreien zu können.«
    Seine Schwester löste sich aus seiner Umarmung und sah ihn prüfend an. »Vater hat an den Sieg geglaubt, Duncan. An den Sieg und an ein freies Schottland.«
    »Ein freies Schottland«, spottete ihr Bruder. »Wenn ich das schon höre. Hunderte von Kriegern haben in Sterling ihr Leben gelassen. Und wofür? Um einem Eiferer in den Kampf zu folgen, der davon träumt, die Krone an sich zu reißen. Hast du gehört, wie sie ihn neuerdings nennen? Braveheart rufen sie ihn, weil er die Engländer bezwungen hat. Sie glauben, er täte das alles um ihretwillen, dabei denkt er nur an sich selbst.«
    »Vater hat ihm vertraut, Duncan. Er sagte, wenn es jemandem gelingen könne, die Clans zu einen und die Engländer zu besiegen, dann wäre es

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