Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
die nicht schnell genug aufgesprungen waren und sich vor den Trümmern in Sicherheit gebracht hatten. Gleichzeitig barst das Segel des Vormastes. Ein riesiger Riss zog sich mitten durch das Segeltuch, als wäre es von einem Messer von oben bis unten aufgeschlitzt worden. Die beiden Teile flogen auseinander und wurden vom Sturm in noch kleinere Fetzen ge rissen, die mit lautem, hartem Knattern im Wind schlugen. Sofort bekam die Calatrava gefährliche Schlagseite, hatten sich doch Großsegel und Taue des gestürzten Hauptmastes zwischen den Rudern auf der Backbordseite verfangen. Sie sogen sich so fort mit Wasser voll, was ihr Gewicht noch vergrößerte und es schwerer machte, sich von ihnen zu befreien. Auch drehte sich das Schiff quer zu den heranjagenden Wellen, die sich unter dem anwachsenden Sturmwind immer höher auftürmten. Unter den gellenden Schreien von Nikos Patrikios griffen die Seeleute zu ihren Bootsmessern und Schiffsäxten und rückten damit den dicken Tauen der Takelage zu Leibe, ohne dabei Rücksicht auf die Passagiere zu nehmen, die dort an der Reling noch unter den Trümmern begraben lagen und sich in panischer Angst zu befreien suchten. Die Galeere musste so schnell wie möglich von dem halb über Bord hängenden Vormast mit seinem Gewirr aus Segel und schwerer Takelage befreit werden, wenn die Schräglage nicht zu ihrem Untergang führen sollte. Schon jetzt strömte Wasser durch die unteren Ruderöffnungen. Eine einzige große Welle, die das Schiff querab an Steuerbord traf, konnte ihr aller Schicksal besiegeln. Die Granvilles befanden sich nicht unter den Unglücklichen, die unter die Trümmer des stürzenden Großmastes geraten waren und sich dabei Verletzungen zugezogen hatten. Sie waren sofort aufgesprungen und hatten noch die Treppe zum Achterdeck erklimmen können, kurz bevor der Mast geborsten war. »Gnadenreiche Gottesmutter, stehe uns bei!«, keuchte Gustave Granville entsetzt, klammerte sich mit leichenblassem Gesicht an eine der Seitenverstrebungen und schrie voller Angst in den jaulenden Wind: »Soll uns denn gar nichts erspart bleiben? . . . Sollen wir auf offener See unser Grab finden? Herr, warum strafst du uns mit deinem Zorn? Haben wir denn nicht schon genug ertragen?« In seinem Rücken kauerten an der Bordwand seine Töchter. Beat rice hatte ihre Arme um Heloise gelegt und begann voller Angst, den 23. Psalm zu beten, das allen Christen geläufige Gebet in höchster Todesnot. »Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir feh len . . .« Sofort fielen ihre kleine Schwester und ihr Vater mit zit ternden Stimmen in das Gebet ein, um gemeinsam fortzufahren:
»Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, getreu seinem Namen. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil. Denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab ge
ben mir Zuversicht . . .« Und im Anschluss daran beteten sie gleich noch den 6. Psalm, das Bußgebet in Todesnot. Wer sich jetzt noch in den Kabinen unter Deck aufgehalten hatte, floh in Todesangst aus den engen Verschlägen und stürzte über die Niedergänge nach oben. Und von den Ruderbänken kam das wüste, panische Geschrei der dort angeketteten Mannschaft. Die Männer fürchteten, die Galeere könnte jeden Moment kentern und sie mit in die Tiefe reißen. Sie rasselten mit ihren Ketten und schrien nach dem Rudermeister und seinen Aufsehern, damit sie ihnen die Ketten lösten. Sie wollten wenigstens noch eine Chan ce haben, beim Untergang der Calatrava vom Schiff zu springen und von den Trümmern irgendetwas zu fassen zu bekommen, an dem sie sich im Wasser festhalten konnten. Aber Nikos Patrikios dachte gar nicht daran, diesen Befehl zu ge ben. Noch gab er seine Galeere nicht für verloren. Die ersten Blitze zuckten in wild gezackter, blendend greller Bahn auf das plötzlich aufgewühlte Meer hinunter. Gleichzeitig gewann der Regen an Kraft. In der Wolkendecke schienen sich Schleusen geöffnet zu haben, aus denen nun die Flut herabstürz te. Der Sturmwind packte die Regenfluten und schleuderte sie gegen die Calatrava und die anderen Schiffe des Konvois, der nun gänzlich auseinandergerissen wurde. Mehrere Schiffslampen er loschen. »Schneller! . . . Schneller! . . . Kappt die Taue! . . . Legt euch ins Zeug, verdammt noch mal, oder wollt ihr, dass wir ersaufen?«, brüllte der Kapitän indessen mittschiffs, riss einem jungen Seemann die Axt aus
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