Die Bruderschaft
Fotos.
Überweis das Geld und ich werde dich in Ruhe lassen.
Schöne Grüße, Ricky
Nach einiger Zeit fand Vann die Abzweigung zur 1-635 und etwas später fuhr er auf der 1-820 im Bogen um Fort Worth und dann wieder zurück nach Dallas. Er blieb auf der rechten Spur und hielt sich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzung von 55 Meilen pro Stunde, ohne auf die Schlange zu achten, die sich hinter ihm gebildet hatte. Wenn Weinen geholfen hätte, wäre er sicher in Tränen ausgebrochen. Er hatte keine Hemmungen zu weinen, jedenfalls nicht in der Abgeschlossenheit seines Jaguars.
Doch er war zu wütend, zu verbittert. Und er hatte zu viel Angst, Zeit mit der Sehnsucht nach einem Menschen zu verschwenden, der nicht existierte. Nein, er musste handeln - und zwar schnell, entschlossen und heimlich.
Schließlich überwältigte ihn jedoch der Schmerz und er fuhr auf den Seitenstreifen und blieb mit laufendem Motor stehen. All die schönen Träume von Ricky, die vielen Stunden, die er damit verbracht hatte, dieses hübsche Gesicht mit dem kleinen, schiefen Lächeln zu betrachten und die traurigen, witzigen, verzweifelten, hoffnungsvollen Briefe zu lesen. Wie konnten geschriebene Worte nur so viele Gefühle vermitteln? Er hatte diese Briefe praktisch auswendig gelernt.
Und er war doch nur ein Junge, so jung und voller männlicher Lebenskraft, und trotzdem so einsam und erfüllt von Sehnsucht nach einem reifen Partner. Der Ricky, in den er sich verliebt hatte, brauchte die liebevolle Umarmung eines älteren Mannes und Curtis/Vann hatte seit Monaten Pläne geschmiedet. Er hatte vorgetäuscht, er müsse, während seine Frau ihre Schwester in El Paso besuchte, zu einer Diamantenschau in Orlando. Alles war bis ins letzte Detail geplant - er hatte keine Spuren hinterlassen.
Schließlich begann er zu weinen. Der arme Vann vergoss Tränen und schämte sich ihrer nicht. Niemand konnte ihn sehen. Die anderen Wagen rasten mit 80 Meilen pro Stunde an ihm vorbei.
Und wie jeder enttäuschte Liebende schwor er Rache. Er würde dieses Schwein aufspüren, dieses Ungeheuer, das sich als Ricky ausgegeben und ihm das Herz gebrochen hatte.
Als das Schluchzen nachließ, dachte er an seine Frau und seine Familie und das half ihm sehr, die Fassung wieder zu gewinnen. Glenda würde die sechs Geschäfte, die zwei Millionen und das neue Haus mit getrennten Schlafzimmern bekommen und ihm würden bloß Spott, Verachtung und Gerede bleiben, und das in einer Stadt, die nichts so liebte wie den Klatsch. Seine Kinder würden die Partei dessen ergreifen, der das Geld hatte, und seine Enkel würden für den Rest ihres Lebens nur die bösartigen Geschichten über ihren Großvater hören.
Während er zum zweiten Mal mit 55 Meilen auf der rechten Spur durch Mesquite fuhr und die Sattelschlepper an ihm vorbei donnerten, las er nochmals den Brief.
Er hatte niemanden, an den er sich wenden konnte - keinen Bankier, der den Inhaber des Kontos auf den Bahamas herausfinden konnte, keinen Anwalt, den er um Rat fragen, keinen Freund, dem er die schreckliche Geschichte erzählen konnte.
Er hatte sein Doppelleben sorgfältig geheim gehalten und das Geld stellte kein unüberwindliches Problem dar. Seine Frau wachte mit Argusaugen über alle Ausgaben, sowohl zu Hause als auch im Geschäft, und darum hatte Vann schon vor langer Zeit damit begonnen, Geld zu verstecken. Er schaffte Halbedelsteine, Rubine, Perlen und manchmal kleine Diamanten auf die Seite und verkaufte sie später gegen Bargeld an andere Juweliere. In seiner Branche war das nichts Ungewöhnliches. Vann hatte Kartons voller Geld: Schuhkartons, die er in einem feuersicheren Safe aufbewahrte, der in einem gemieteten Lagerraum in Piano stand. Bargeld für die Zeit nach der Scheidung. Bargeld, das er für sein späteres Leben brauchte, wenn er und Ricky um die Welt fahren und es für eine Reise ohne Ende ausgeben würden.
»Dieser Scheißkerl!« sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Er sagte es immer wieder.
Warum schrieb er diesem Verbrecher nicht, dass er nicht so viel Geld hatte? Warum drohte er nicht damit, zur Polizei zu gehen? Warum kämpfte er nicht? Weil dieser Scheißkerl genau wusste, was er tat. Er hatte Vann gut genug ausgekundschaftet, um seinen wirklichen Namen und den seiner Frau zu wissen. Er wusste, dass Vann genug Geld hatte.
Er bog in die Garageneinfahrt ein, Glenda fegte den Fußweg. »Wo hast du denn gesteckt, Schatz?« fragte sie freundlich.
»Ich hatte was zu erledigen«,
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