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Die Brücke am Kwai

Die Brücke am Kwai

Titel: Die Brücke am Kwai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Boulle
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an diesem Platz aufhalten muß, wieder in Sicherheit bringen können?« fragte Shears.
    »Ein guter Schwimmer braucht nicht mehr als drei Minuten, um von einem Ufer zum andern zu kommen. Das ist die Zeit, die ich gebraucht habe, Sir, und außerdem wird die Explosion die Aufmerksamkeit der Japaner ablenken. Ich denke, daß ein am Fuße des Berges stationierter Hilfstrupp seinen Rückzug decken könnte. Wenn es ihm dann gelingt, den freigelegten Zwischenraum und den Bahndamm zu überqueren, ist er gerettet, Sir. Der Dschungel läßt keine wirksame Verfolgung zu. Ich versichere Ihnen, daß dies der beste Plan ist.«
    Shears, der sich über die Skizzen von Joyce gebeugt hatte, blieb lange nachdenklich.
    »Das ist ein Plan, der es verdient, eingehend untersucht zu werden«, sagte er endlich. »Selbstverständlich sind Sie, da Sie an Ort und Stelle gewesen sind, der geeignete Mann, Ihre Ansicht zu äußern; und das angestrebte Ziel lohnt die Mühe, ein Risiko einzugehen… Was haben Sie sonst noch oben von Ihrem Horst aus gesehen?«

3
    Die Sonne hatte schon hoch am Himmel gestanden, als er wieder auf dem Berggipfel angekommen war. Seine beiden Führer, die bereits in der Nacht zurückgekehrt waren, erwarteten ihn voller Besorgnis. Er war erschöpft. Er hatte sich hingestreckt, um sich eine Stunde auszuruhen, und war erst gegen Abend wieder aufgewacht. Er gab es mit der Bitte um Entschuldigung zu.
    »Gut… Ich nehme an, daß Sie auch nachts noch geschlafen haben, wie? Das wäre das Beste gewesen, was Sie hätten tun können. Und am nächsten Tage haben Sie dann Ihren Beobachtungsposten wieder bezogen?«
    »Genau das, Sir. Ich bin noch einen Tag länger geblieben. Es gab noch eine Menge Dinge zu untersuchen.«
    Er mußte seine Aufmerksamkeit den Lebenden zuwenden, nachdem er die erste Zeit der leblosen Materie gewidmet hatte. Bis dahin hatten die Brücke und die charakteristischen Merkmale der Landschaft ihn fasziniert, mit denen die geplante Aktion in engem Zusammenhang stand – jetzt war er plötzlich tief erschüttert, als er seine unglücklichen Brüder erblickte, die in tiefster Sklaverei ein Leben voller Erniedrigung führten und die er im Blickfeld seines Feldstechers aufgeregt hantieren sah. Er kannte die Praktiken nur zu gut, die die Japaner in den Lagern zur Anwendung brachten. Eine Vielzahl von Geheimberichten meldete bis in alle Einzelheiten die ständig von den Siegern begangenen Grausamkeiten.
    »Haben Sie unangenehme Auftritte mit angesehen?« forschte Shears.
    »Nein, Sir; wahrscheinlich war gerade an diesem Tag nichts los. Aber es hat mich weiß Gott gepackt, als ich daran dachte, daß sie bereits seit Monaten unter diesem Klima, bei schlechter Ernährung, in schlechten Unterkünften, ohne Pflege und unter der Androhung von ich weiß nicht welchen Strafen arbeiten.«
    »Unsere Arbeit gestattet uns nicht, allzuviel Mitleid zu empfinden, Joyce.«
    »Ich weiß, Sir, aber sie sind wirklich nur noch Haut und Knochen. Bei den meisten sind die Gliedmaßen von offenen Wunden und Geschwüren bedeckt. Manche können sich kaum noch vorwärts schleppen. Bei uns in Europa würde kein Mensch auf den Gedanken kommen, Männer in einem so heruntergekommenen körperlichen Zustand Arbeit verrichten zu lassen. Sie müßten sie gesehen haben, Sir! Ich hätte fast geweint. Zum Beispiel diese Männer, die zu dem Trupp gehören, der die letzten Pfeiler einrammen muß! . Wahre Skelette, Sir! Noch nie habe ich ein so entsetzliches Schauspiel gesehen. Das ist das abscheulichste aller Verbrechen.«
    »Machen Sie sich keine Gedanken mehr darüber«, sagte Shears. »Für all das werden sie bezahlen müssen.«
    »Und trotz alledem, Sir, ich muß gestehen, daß mir ihre Haltung Bewunderung abgenötigt hat. Trotz ihrer offensichtlich jämmerlichen körperlichen Verfassung macht keiner von ihnen einen deprimierten Eindruck. Ich habe sie genau beobachtet. Sie setzen ihre Ehre darein, die Anwesenheit ihrer Wachposten zu übersehen, jawohl, Sir, das ist ganz genau der Eindruck, den ich bekommen habe; sie handeln so, als wären die Japaner nicht da. Sie sind von Tagesanbruch bis zum Einbruch der Nacht auf der Baustelle  und das seit Monaten und wahrscheinlich ohne einen Ruhetag . Und doch machen sie keinen verzweifelten Eindruck. Trotz ihrer jämmerlichen Bekleidung, trotz ihrer kläglichen körperlichen Verfassung haben sie nicht die Haltung von Sklaven, Sir. Ich habe ihren Blick gesehen.«
    Alle drei blieben sie recht lange schweigsam, und

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