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Die Brücke am Kwai

Die Brücke am Kwai

Titel: Die Brücke am Kwai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Boulle
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Die Sprengladungen mußten genau unter dem Wasserspiegel liegen. Ein aufmerksamer Wachposten konnte sicherlich diejenigen, die an den äußeren Pfeilerreihen angebracht waren, erkennen, falls er sich ein wenig über das Geländer beugte …
    Und vielleicht würde der Fluß noch mehr sinken? Vielleicht würden einen Augenblick später die Sprengladungen für jedermann sichtbar sein, wenn sie noch triefend von Wasser unter dem erbarmungslosen Licht des Himmels von Thailand glitzerten! Die groteske Unsinnigkeit dieses Bildes ließ ihn erstarren. Wie spät war es? Die Sonne fing eben erst an, das Tal zu erhellen. Der Zug wurde nicht vor zehn Uhr erwartet. Ihrer aller Geduld, ihre gemeinsame Arbeit, ihre Mühen, ihre Leiden, dies alles wurde plötzlich durch die unmenschliche Launenhaftigkeit der hoch vom Gebirge herunterrinnenden Wasser verhöhnt, ja beinahe lächerlich gemacht. Der Erfolg des großen Schlages, dem er alle in den Jahren zwangsvoller Enge aufgespeicherten Reserven an Lebenskraft und Können geopfert hatte, dieser Erfolg stand jetzt auf dem Spiel und wurde noch einmal auf einer Waage abgewogen, auf der die Sehnsucht seines Herzens nichts wog. Sein Schicksal würde sich in den Minuten vollziehen, die ihn von der Ankunft des Zuges trennten; es würde sich außerhalb von ihm auf einer höheren Ebene, vielleicht in einer Einsicht, doch in einer fremden, unbarmherzigen Einsicht entscheiden, die die Begeisterung verachtete, die ihn mit fortgerissen hatte, einer Einsicht, die so hoch über den menschlichen Dingen thronte, daß sie sich durch keine Willenskraft, kein Gebet und keine Verzweiflung erweichen ließ.
    Diese Gewißheit, daß das Auffinden oder das Nichtauffinden der Sprengladungen jetzt außerhalb seiner Bemühungen lag, gab ihm, so paradox das war, ein wenig von seiner Ruhe wieder. Er verbot sich, daran zu denken, ja sogar, sich etwas zu wünschen. Er hatte nicht das Recht, auch nur einen einzigen Funken seiner Energie für die Begebenheiten zu verschwenden, die sich in einer übersinnlichen Welt vollzogen. Er mußte sie vergessen, um all seine geistigen Kräfte auf die Dinge zu konzentrieren, auf die er noch einwirken konnte. Auf eben diese und auf nichts anderes mußte er seinen Verstand richten. Das Unternehmen war immer noch möglich, und er mußte im voraus erkennen, welchen Verlauf es nehmen könnte. Er dachte immer über sein zukünftiges Verhalten nach. Das hatte Shears bereits festgestellt.
    Falls die Sprengladungen entdeckt werden würden, würde man den Zug vor der Brücke zum Stehen bringen. Er würde dann den Taster des Auslösegerätes betätigen, ehe er selbst entdeckt wurde. Die Schäden würden sich ausbessern lassen.
    Es würde ein halber Mißerfolg sein, doch dagegen konnte er nichts tun.
    Anders war seine Lage im Hinblick auf die elektrische Leitung. Diese konnte nur von einem Menschen entdeckt werden, der wenige Schritte von ihm entfernt auf den Strand hinunterstieg. Dann würde ihm noch eine Möglichkeit zum persönlichen Eingreifen bleiben. Vielleicht würde sich in diesem Augenblick niemand auf der Brücke oder auf dem gegenüberliegenden Ufer befinden, der ihn sehen konnte.
    Und der Steilhang verbarg den Kiesstrand vor den Augen der Japaner im Lager. Der Betreffende würde wahrscheinlich zögern, ehe er Alarm schlug. Dann würde er, Joyce, handeln müssen, und zwar sehr schnell handeln müssen. Deswegen durfte er weder den Strand noch die Brücke aus den Augen verlieren.
    Er überdachte das Ganze noch einmal, kehrte in sein früheres Versteck zurück und nahm alle seine Geräte mit auf den neuen Posten, der nur durch einen dünnen Vorhang von Schlingpflanzen geschützt war und von dem aus er sowohl die Brücke als auch den Uferstreifen mit dem Leitungsdraht beobachten konnte. Ihm kam plötzlich ein Einfall. Er zog seine Shorts und sein Hemd aus. Er hatte nur noch kurze Unterhosen an. Das war so ungefähr die Arbeitsuniform der Gefangenen. Sollte man ihn von weitem bemerken, so würde man ihn für einen von ihnen halten können. Vorsichtig stellte er das Auslösegerät auf und kniete sich nieder.
    Er zog seinen Dolch aus der Scheide. Er legte diesen wichtigen Bestandteil seiner Ausrüstung, der bei den Unternehmungen der »Plastic & Destructions Co. Ltd.« niemals vergessen wird, neben sich ins Gras und wartete ab.
     
    Die Zeit verrann zum Verzweifeln langsam, als sei sie ebenso gedrosselt und gehemmt wie die gesunkene Strömung des Kwai-Flusses, und bei dem gedämpften Murmeln

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