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Die Brücke am Kwai

Die Brücke am Kwai

Titel: Die Brücke am Kwai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Boulle
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unzähliger Wassertropfen wurden ihm die Sekunden zu einer Ewigkeit. Sie verminderte unmerklich den vor ihr liegenden gefahrvollen Zeitraum. Und sie führte gleichzeitig der Vergangenheit immer mehr Augenblicke der Sicherheit zu, die unschätzbar, aber unendlich klein waren und tragischerweise in keinem Verhältnis zu seinem drängenden Verlangen standen. Das Licht der Tropen drang in das feuchte Tal ein und ließ den schwarzen, vom Wasser durchtränkten Sand des eben erst freigelegten Uferlandes aufglitzern. Die Sonne, die zuerst die Querhölzer im Oberbau der Brücke hatte hervortreten lassen und einen Augenblick von dem Brückenbelag verdeckt wurde, hob sich jetzt über dieses Hindernis hinweg und warf den gigantischen Schatten des von Menschenhand erstellten Bauwerks gerade vor ihn. Dieser Schatten zog auf dem Uferkies einen geraden Strich, der parallel zu dem Draht verlief, löste sich im Wasser auf, wurde eine zitternde Vielzahl von Wellenbewegungen und verband sich dann auf der andern Seite des Flusses fest mit der Gebirgsmasse. Die Hitze ließ die Schrammen auf Joyces zerrissenen Händen hart werden und verursachte an den Wunden auf seinem Körper heftig beißende Schmerzen, wozu noch die Heerscharen vielfarbiger Ameisen kamen, die sich wütend darauf stürzten. Doch das körperliche Leiden lenkte ihn nicht von seinen Gedanken ab und bildete nur eine schmerzhafte Begleiterscheinung zu der quälenden Vorstellung, die seit einem Augenblick sein Hirn zermarterte.
    Ein neues Angstgefühl hatte ihn ergriffen, als er sich dazu zwang, genau den Verlauf zu präzisieren, den das Unternehmen zwangsläufig nehmen würde, wenn in der Stunde, die er bald erleben würde, ein gewisses Vorkommnis die Linie seines Schicksals kreuzte… Ein japanischer Soldat, den der kiesbestreute Strand verlockte, konnte nachlässig am Ufer spazierengehen. Er würde überrascht sein, wenn er die Leitung bemerkte. Er würde stehenbleiben. Er würde sich bücken, um danach zu greifen, und einen Augenblick reglos verharren. Dann war der Augenblick gekommen, in dem er, Joyce, würde eingreifen müssen. Es war für ihn unumgänglich, sich im voraus genau das vorzustellen, was er tun würde. Er dachte zuviel nach, hatte Shears gesagt!
    Es genügte, daß er sich diese Handlung ausmalte, um seine Nerven zu verkrampfen und jeden seiner Muskeln zu lähmen. Er durfte sich dem nicht entziehen. Tief im Innern hatte er intuitiv erkannt, daß dieser Ablauf zwangsläufig, daß er seit langem vorbereitet war, daß er den natürlichen Abschluß von Abenteuern bildete, die alle unvermeidlich auf diese letzte Prüfung seiner Fähigkeiten hinausliefen.
    Dies war die am meisten gefürchtete, Abscheu erregende Bewährung, die er in eine der Waagschalen werfen konnte.
    Nur sie wog genug an Opfer und Greuel, um die Richtung des Waagebalkens zum Siege hinzuwenden, indem sie ihn von der zäh klebenden, schweren Masse des verhängnisvollen Mißgeschicks losriß.
    Er richtete alle Zellen seines Gehirns auf diese endgültige Verwirklichung der Tat, wobei er sich fieberhaft noch einmal die empfangene Ausbildung durch den Kopf gehen ließ und versuchte, sich mit Leib und Seele der Dynamik der Ausführung hinzugeben, ohne indessen imstande zu sein, die gespenstische Vorstellung der sofortigen Folgen zu verjagen.
    Er erinnerte sich an die beunruhigende, damals an ihn von seinem Chef gerichtete Frage: »Könnten Sie, wenn der Augenblick gekommen ist, sich kaltblütig dieses Instrumentes bedienen?« Er war in seinem Instinkt und seinem guten Glauben irritiert gewesen. Er hatte damals die kategorische Antwort nicht geben können. In dem Augenblick, in dem sie in den Fluß hinausschwammen, war er seiner ganz sicher gewesen, jetzt war er keiner Sache mehr sicher.
    Er blickte auf die neben ihm im Gras liegende Waffe.
    Es war ein Dolch mit langer, spitz zulaufender Klinge und einem ziemlich kurzen Griff, der gerade ausreichte, um ihn bequem in die Hand zu nehmen; er war aus Metall und bildete mit der Klinge eine einzige, schwere Masse. Theoretiker der »Force 316« hatten ihn in Form und Profil mehrmals verändert. In der Ausbildung hatten sie genaue Anweisungen erhalten, wie diese Waffe zu handhaben sei. Es handelte sich nicht nur darum, den Griff zu umklammern und blind zuzustoßen; das wäre zu leicht gewesen; das konnte ein jeder tun. Jede Zerstörung verlangt eine gewisse Technik. Seine Ausbilder hatten ihm zwei Arten beigebracht, ihn zu verwenden. Für die Verteidigung gegen

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