Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brücke am Kwai

Die Brücke am Kwai

Titel: Die Brücke am Kwai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Boulle
Vom Netzwerk:
hatte, breitete sich über das Papier in jenen schematischen, zweidimensionalen Figuren, die seine ganze Jugend angefüllt hatten. Der Plan, das Profil, der Aufriß und die vielfältigen Schnittflächen erstanden wieder vor seinen Augen mit all ihren einzelnen Rippen, deren sachkundige Einteilung die Einsparung von anderthalb Pfund Stahl ermöglicht hatte – und das nach zwei Jahren dunklen Umhertastens.
    Auf diesen Figuren setzten sich jetzt allmählich kleine braune Rechtecke fest, ähnlich denen, die Warden – auf vierundzwanzig Pfeiler verteilt – auf der in großem Maßstab angelegten Skizze der Brücke aufgezeichnet hatte. Die Überschrift, die herzustellen ihn bei jedem der unzähligen Entwürfe qualvolle Mühe gekostet hatte, wurde immer größer und verschwamm vor seinem Blick. Vergeblich bemühte er sich, die Buchstaben zu erfassen. Sie verloren sich auf seinem Zeichenblatt, bis sie sich endlich, wie es gelegentlich bei einem Film geschieht, zu einem neuen Wort zusammenfügten. Es war das Wort ZERSTÖRUNG in dicken schwarzen Lettern, deren fette Schwärze in dem Licht des Projektors aufleuchtete, jedes andere Symbol auslöschte und sich seiner Halluzination fest einprägte.
    Er war nicht wirklich besessen von dieser Vision. Er konnte sie nach Belieben fortscheuchen. Er brauchte nur die Augen aufzumachen. Der nachtdunkle Winkel, in dem sich im Finstern die Brücke des Kwai-Flusses abzeichnete, verjagte die staubbedeckten Gespenster der Vergangenheit und erinnerte ihn an die Wirklichkeit, an seine Wirklichkeit.
    Nach diesem Ereignis würde sein Leben nicht mehr das gleiche sein. Er kostete bereits im voraus den Genuß des Erfolges aus, wobei er seine eigene Verwandlung spürte.
    Bei Tagesanbruch, ungefähr im gleichen Augenblick wie Shears, verspürte auch er ein Unbehagen, das durch eine Veränderung in den Ausdünstungen des Kwai-Flusses hervorgerufen wurde. Die Veränderung war so schnell vor sich gegangen, daß er sie während seiner Erstarrung nicht gespürt hatte. Von seinem Lager aus sah er nur den Brückenbelag. Der Fluß war ihm verborgen, aber er war überzeugt davon, daß er sich nicht täuschte. Diese Überzeugung bedrückte ihn bald so sehr, daß es ihm notwendig erschien, etwas zu unternehmen. Er kroch durch die Büsche in Richtung auf das Wasser hinunter, kam bis an den letzten schützenden Gebüschrand und sah sich um. Er begriff die Ursache seiner Verwirrung im gleichen Augenblick, wie er die elektrische Leitung auf dem Geröll des freigelegten Flußstrandes entdeckte.
    Er machte die gleichen Erlebnisstadien durch wie Shears, und sein Verstand gelangte allmählich zu der Erkenntnis, daß sich hier ein nicht wiedergutzumachendes Unglück ereignet hatte. Er empfand bei dem Gedanken an die Sprengladungen die gleiche physische Zerrissenheit. Von seinem neuen Standort aus konnte er die Pfeiler sehen; er brauchte nur die Blicke zu heben. Er zwang sich dazu, es zu tun.
    Er mußte ziemlich lange und genau hinsehen, um sich ein Bild von der Gefahr machen zu können, die das seltsame Gehabe des Kwai-Flusses mit sich brachte. Selbst nach einer aufmerksamen Prüfung konnte er sie nicht genau ermessen, und Hoffnung und Angstgefühl wechselten entsprechend dem Spiel der tausend kleinen Wasserringe, die die Strömung rings um die Brücke erzeugte. Beim ersten Blick entspannte ein Anfall von wohligem Optimismus seine Nerven, die sich unter dem Entsetzen seines ersten Gedankens jählings verkrampft hatten. Der Fluß war doch nicht so tief gesunken. Die Sprengladungen waren noch unter Wasser.
    … Zum mindesten sah es von seinem nicht sehr hoch gelegenen Standort betrachtet so aus. Aber wie würde es von oben aussehen? Von der Brücke aus?… Und selbst von hier aus? Als er sich besser eingesehen hatte, bemerkte er eine ziemlich breite Welle, wie sie auf der Wasseroberfläche entsteht, sobald aus dieser ein starrer Gegenstand hervorragt. Diese Welle bildete sich rund um die Pfeiler herum, die er so gut kannte, denn an ihnen hatte er Fetzen seiner Haut gelassen. Er hatte nicht das Recht, sich etwas vorzumachen. Die Welle war dort, wo sie diese besonderen Pfeiler umfloß, größer als bei den anderen Pfeilern…
    Und es schien ihm, als könne er an einem dieser Pfeiler für einen Augenblick ein Stück braune Masse erkennen, die sich auf dem viel helleren Holz abzeichnete. Es ragte manchmal wie der Rücken eines Fisches aus dem Wasser hervor, und einen Augenblick später sah man dort nichts als die Strömung.

Weitere Kostenlose Bücher