Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
erwiderte er verunsichert und starrte ihre Hand an. Was? Ach, stimmt. Er lief knallrot an, dann beugte er sich über die Hand, ohne sie jedoch mit den Lippen zu berühren.
Gina warf sich in Pose. »Wie sind deine Prüfungen gelaufen? Bist du zuversichtlich? Ich war am besten in Hellsicht und Divination.«
»Tja. Ganz gut, würde ich sagen.«
Ramon trat neben ihn. »Buonsera, Dona Beler.«
Gina zog ihre Hand weg. »Ach, hallo. Bist du immer noch hier? Wie ist noch mal dein Name?«
»Shaitan. Dies hier ist mein Reich.«
Gina verzog den Mund. »Ja, gewiss. Ah, seht, Vater verlangt nach mir.« Sie deutete, und die beiden sahen, wie ihr Vater mit Vann sprach. »Wollen wir, Alaron?« Sie hielt ihm den Arm hin.
»Ähm, ich glaube, ich hole mir erst mal was zu trinken. Was ist mit dir, Ramon?«
Gina seufzte leicht verärgert und stolzierte davon.
»Hast du deine Meinung schon wieder geändert, Amiki?«
»Sie ist dumm wie Bohnenstroh.«
»Aber schöne breite Hüften hat sie«, bemerkte Ramon. »Gebärfreudig.«
Alaron wurde ein weiteres Mal rot, während Ramon sich halb kaputtlachte, sehr zum Missfallen der feinen Herrschaften ringsum.
»Du bist so ein Widerling«, erklärte Alaron. »Ich werde dich vermissen.«
»Natürlich wirst du mich vermissen. Mutterseelenallein Dona Beler ausgeliefert zu sein, wird kein Spaß, mein Lieber. Sie kennt nicht mal das Wort«, gackerte Ramon. »Aber ihr Mieder füllt sie gut aus.«
Die Reinen ließen es sich nicht nehmen, auch bei den beiden Freunden vorbeizuschauen. »Ah, die zwei Durchfaller«, spöttelte Malevorn. »Ich bin überrascht, dass ihr euch überhaupt die Mühe macht. Ausgeschlossen, dass einer von euch es geschafft hat. Vor allem bei dir, du kleiner silacischer Scheißer«, sagte er zu Ramon.
Francis Dorobon blickte sie von oben herab an. »In meinem Königreich gibt es viel zu viel von diesem rimonischen Abschaum. Man kann ihnen nicht trauen. Alles Diebe und Lügner.«
Ramon funkelte Francis an. »Warum fährst du dann nicht schleunigst hin und findest heraus, wie lange es dauert, bis du einen Dolch zwischen den Schulterblättern hast, oh König?«
»Meine Familie wird ihren Thron schon sehr bald zurückhaben«, gab Dorobon kalt zurück. »Der Kriegszug wird dafür sorgen, dass ich mein Geburtsrecht bekomme. Ich denke, meine erste Amtshandlung als König wird sein, alle rimonischen Landstreicher verhaften und kreuzigen zu lassen.«
Wütend trat Alaron auf Francis zu, aber Malevorn ging dazwischen. Nasenspitze an Nasenspitze standen sich die beiden gegenüber. »Hast du was zu sagen, Merser?«
Alaron dachte an all die Prügel, die er von Malevorn bezogen hatte. All der angestaute Groll stieg in ihm auf. »Und ob ich was zu sagen habe. Du bist ein widerwärtiger Feigling, der …«
Malevorn spuckte ihm ins Gesicht.
Alaron spuckte sofort zurück, aber sein Speichel blieb eine halbe Handbreit vor Malevorns Gesicht mitten in der Luft stehen.
Mit einem nonchalanten Lächeln auf den Lippen blies Malevorn den glitzernden Tropfen zurück in Alarons Gesicht. »Hast du was zu sagen, Merser?«, wiederholte er. »Mach dich nicht jetzt schon zum Trottel. Du willst doch nicht schon vor der großen Abendveranstaltung hinausgeworfen werden, oder?« Dann drehte er sich weg.
Alaron packte ihn bei der Schulter.
»Nimm deine Finger von mir, du elender Wurm«, schnaubte Malevorn und verdrehte Alarons Handgelenk. »Wag es nicht noch einmal, mich zu berühren. Nie wieder, verstanden!« Er stieß Alaron zurück, dann stolzierte er mit seinen Freunden davon.
Alarons Handgelenk schmerzte, aber den weit größeren Schmerz bereiteten ihm die hinter vorgehaltener Hand grinsenden Gesichter der anderen Eltern.
Eine Glocke erklang, und ein Hofdiener kündigte den Beginn der Amulettverleihung an. Alle drängten sich in die Haupthalle, wo der Gouverneur normalerweise die Bittsteller anhörte. Am heutigen Abend war der prächtige Thron jedoch leer. Vults Stellvertreter, der König, musste sich mit einer einfacheren Sitzgelegenheit zu Füßen des Throns begnügen. Die Säulen und Bögen im Saal waren mit vergoldeten Lorbeermotiven verziert. Das Deckengemälde stellte die Himmelfahrt des Corineus dar. Das Licht von Myriaden Gnosislichtern spiegelte sich in den Kristallleuchtern und im Schmuck der erlesenen Gäste. Damen mit unfassbar teuren Perlenketten um den Hals wandelten elegant am Arm großer Magi. Es wurde viel geprahlt, und überall waren die unsichtbaren Spannungen und
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