Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
Dame«, antwortete Belonius, ohne mit der Wimper zu zucken. Im Honig-ums-Maul-Schmieren war Vult unübertroffen.
Lucia bedachte ihn mit einem wohlwollenden Blick und deutete auf zwei Stühle an einer Tafel. Vier weitere Männer saßen an dem Tisch, und jeder davon starrte sie an. Die Blicke, denen sie begegneten, reichten von neutral bis offen feindselig.
»Gestattet mir, Euch zu Eurer Heiligsprechung zu gratulieren, edle Mutter. Noch nie wurde eine so vortreffliche Person so passend geehrt.«
Lucia lächelte geschmeichelt wie ein junges Mädchen, das sich über ein anzügliches Kompliment freut, nicht wie eine Kaiserinmutter und Heilige. Doch Gyle hatte Geschichten darüber gehört, was sie mit denen anstellte, die ihr Missfallen erregten, und diese Geschichten ließen ihn bis ins Mark erschauern. Aber was wusste er denn schon darüber, wie Heilige aussahen und sich zu benehmen hatten?
»Willkommen im Hoherat Rondelmars.« Lucia deutete galant in die Runde. »Ich nehme an, Ihr kennt die edlen Herren noch nicht, also gestattet mir, Euch vorzustellen.« Sie nickte einem groß gewachsenen Mann mit beginnender Glatze zu, der aussah wie vierzig, aber wahrscheinlich mindestens achtzig war. »Dies ist Graf Calan Dubrayle, der kaiserliche Schatzmeister.« Dubrayle nickte knapp, der Blick seiner alten Augen undurchdringlich.
Der Mann neben ihm hatte silbernes Haar, aber jugendliche Gesichtszüge und den Körperbau eines Helden. »Mein Name ist Kaltus Korion«, erklärte er kühl. »Ich erinnere mich an Euch, Vult.« Kaltus sah aus, als würde er am liebsten auf den Boden spucken. Er wandte sich an Lucia. »Ich sehe keinen Grund, warum die beiden hier sein sollten. Dies ist der Hoherat, kein Kaffeestand auf einem Markt, wo fahrende Händler versuchen, ihren Tand zu verscherbeln. Ich kenne den Plan bereits. Ich brauche die nicht, damit sie ihn mir schmackhaft machen.«
»Der Plan, den wir umsetzen wollen, wurde von den beiden Herren erdacht, mein lieber Kaltus. Also, seid höflich.«
»Ich behandle alle Norer genauso höflich, wie ich es während der Revolte getan habe.« Er warf Belonius ein schiefes Grinsen zu. »Ich habe immer noch Euer Schwert in meiner Beutekammer, Vult.«
»Und Ihr dürft es gerne behalten«, erwiderte Vult aalglatt. »Ich habe mächtigere Waffen, die obendrein nur durch meine Hand gebraucht werden können.«
Sei vorsichtig, Belonius , um Kores willen , dachte Gyle . Du sprichst hier mit Kaltus Rukker Korion!
Kaltus rümpfte unbeeindruckt die Nase und ließ den Blick zu Gyle wandern. »Und das ist der berüchtigte Gurvon Gyle? Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, die kaiserliche Amnestie aufzuheben und ihn zu hängen?«
»Die Revolte liegt lange zurück«, antwortete Gyle ruhig und blickte dem General fest in die Augen. Siebzehn Jahre war es jetzt her, dass die Norer sich gegen ihre Eroberer erhoben hatten. Anfangs hatte es den Anschein gehabt, als würden sie den Sieg davontragen, doch dann hatte sich Lukhazan unter dem Kommando von Belonius Vult kampflos ergeben, und das Blatt hatte sich gewendet. Gyle war damals ein junger Mann gewesen, idealistisch und unerschrocken, doch wie viel war davon jetzt noch übrig? Ein ausgebrannter Meisterspion? Ein verschlagener Intrigant mit einem letzten Ass im Ärmel, das ihm ein Auskommen im Alter sichern sollte? Wahrscheinlich.
»Gut gesprochen. Der Aufstand liegt viel zu lange zurück, um uns jetzt noch zu beschäftigen«, stimmte ein fetter Mann in priesterlichem Gewand zu. Seine Robe war mit so vielen Juwelen und Gold verziert, dass es wahrscheinlich göttlicher Unterstützung bedurfte, wenn er sich darin bewegen wollte. Der Große Kirchenvater Dominius Wurther wirkte aus der Nähe sogar noch übergewichtiger als gestern von der Loge am Place d’Accord aus. »Sie gehört längst der Vergangenheit an, und wir haben unsere norischen Brüder schon vor langer Zeit wieder im Schoß des Reiches willkommen geheißen. Ich zumindest freue mich auf diese Besprechung.« Seine fetten Wangen bebten, und er grinste schmierig. »Ich hoffe, der junge Adamus hat Euch gestern gut unterhalten?«
Die anderen Männer blickten sich an. Wenn diese Norer Gäste des Bischofs waren, welche Rolle spielte dann die Kirche in diesem Plan und welche eigenen heimlichen Ziele verfolgte sie?
Gyle musste sich zusammenreißen, um sich nichts anmerken zu lassen. Sollen sie nur spekulieren .
Der Mann, der links vom Kaiser saß, drehte den Kopf leicht in ihre Richtung. »Ich bin
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