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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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und
Armeestellungen.
    Die Zusammensetzung des Zuges veränderte sich
allmählich. Während wir uns von der Republik entfernten,
wandelte sich die Haltung der Beamten nach und nach von betrunkener
Entspannung zu betrunkener Spannung. Schwarze Rauchsäulen
stiegen am Horizont auf, und manchmal fegte plötzlich eine
Staffel Kampfflugzeuge kreischend über den Zug weg. Die Beamten
an ihren Tischen duckten sich dann instinktiv, lachten, lockerten die
Kragen und nickten den sich schnell entfernenden Punkten anerkennend
nach. Sie fingen meinen Blick ein und schnippten, weitere
Getränke verlangend, mit den Fingern.
    Zuerst hatten wir zwei Plattformwagen mit zwei vierläufigen
Flugzeugabwehrkanonen darauf, einen direkt vor der Lokomotive, einen
hinter dem Dienstabteil des Wachtpostens, später dann einen
Wagen zur Unterbringung der Geschützmannschaften und einen
Panzerwagen voll von Reserve-Munition. Die Militärs neigten
dazu, in ihren eigenen Wagen zu bleiben, und ich wurde nicht gerufen,
sie zu bedienen.
    Später wurden in einer kleinen Stadt, wo von fern Sirenen und
Hupen zu hören waren und ein großes Feuer in der Nähe
des Bahnhofs brannte, zwei der Gesellschaftswagen abgehängt und
durch Panzerwagen mit Truppen ersetzt. Deren Offiziere
übernahmen einige der Schlafwagen. Trotzdem waren die meisten
Fahrgäste im Zug immer noch Bürokraten. Die Offiziere waren
höflich.
    Die Luft veränderte sich, Schnee fiel. Wir fuhren neben
Schotterstraßen her, wo ausgebrannte Lastwagen schief in
Gräben lagen und Grasstreifen und Fahrdamm mit Kratern
übersät waren. Dann tauchten Reihen von Soldaten und
armselig aussehende Zivilisten auf, die Kinderwagen mit
Haushaltsgeräten schoben; die Soldaten gingen in beide
Richtungen, die Zivilisten nur in eine, und zwar die uns
entgegengesetzte. Mehrere Male hielt der Zug ohne erkenntlichen
Anlaß, und oft sah ich auf einem Nebengleis einen Zug an uns
vorbeifahren, der Gleisabschnitte, Krane und waggonweise kleine
Sterne beförderte. Häufig waren die Brücken über
der schneebedeckten Tundra aus den Ruinen älterer Brücken
erbaut und von Pionieren bemannt. Der Zug überquerte diese
Brücken im Kriechtempo. Ich stieg aus und ging nebenher, um mir
die Füße zu vertreten, und ich zitterte in meiner
dünnen Kellnerjacke.
    Beinahe noch ehe ich merkte, was geschah, waren keine Zivilisten
mehr im Zug, nur noch Offiziere und Mannschaften und das Zugpersonal.
Alle Wagen waren gepanzert. Wir hatten vorn drei gepanzerte
Diesel-Lokomotiven und zwei weitere hinten. Alle drei oder vier Wagen
kam ein Plattformwagen mit Flugzeugabwehr-Kanonen, dazu gedeckte
Wagen mit Feldgeschützen und Haubitzen, ein Funkwagen mit
eigenem Generator, mehrere Plattformwagen mit Tanks und Stabswagen
und Artillerie-Traktoren, viele mit Einberufenen vollgestopfte
Mannschaftswagen und etwa ein Dutzend Wagen voller
Ölfässer.
    Ich bediente jetzt nur noch Offiziere. Sie tranken mehr und hatten
einen Hang, Gegenstände zu beschädigen, aber sie neigten
weniger dazu, mit Eßbestecken zu werfen, wenn man benutzte
Teller fallenließ.
    Die Sonne schien weniger, der Wind wurde kälter, die Wolken
wurden dunkler und dicker. Wir kamen an keinen Flüchtlingen mehr
vorbei, nur an den Ruinen von Städten und Dörfern; sie
sahen aus wie Holzkohlen-Skelette: das Schwarz der rußbedeckten
Steine und das leere Weiß des anhaftenden Schnees. Ich sah
Militärlager, Nebengleise voll von Zügen wie dem unsrigen
oder mit Hunderten von Tanks auf Plattformwagen oder gigantischen
Kanonen auf mehrachsigen Gliederwagen, die so lang wie ein halbes
Dutzend normaler Wagen waren.
    Wir wurden von Flugzeugen angegriffen. Die
Flugzeugabwehr-Plattformen knatterten laut und schickten Wolken
stechenden Qualms den Zug hinunter. Die Flugzeuge schossen mit
Maschinengewehren und zerschmetterten Fensterscheiben. Bomben
verfehlten uns um hundert Yards. Ich lag mit dem Chief Steward auf
dem Boden der Kombüse, einen Kasten mit feinsten
Kristallgläsern in den Armen, während die Glasscheiben um
uns splitterten. Beide starrten wir entsetzt, als sich ein Strom
roter Flüssigkeit um die Kombüsentür ausbreitete. Wir
dachten, einer der Köche sei getroffen worden. Es war aber nur
Wein.
    Die Schäden wurden repariert, der Zug fuhr weiter, unter
dunklen Wolken hinein in niedrige Hügel. An einigen Stellen war
der Schnee vom Wind weggefegt, und obwohl die Sonne niemals sehr hoch
am Himmel emporstieg, wurde die Luft wärmer. Ich meinte, den
Atem des Ozeans einzufangen.

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