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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Album-Sammlungen. Nun ja.
    »Gütiger Himmel!« Stewart zog eine Hülle in
Blau und Grau hervor und blickte leicht schockiert drein. »Habe
ich wirklich Deep Purple In Rock gekauft?«
    »Du mußt stoned gewesen sein«, meinte er. Stewart
drehte sich um, blinzelte ihm zu und nahm die Platte heraus.
»So? War das eben ein kurzes Aufblitzen von Humor?«
    »Nur ein Fünkchen. Leg die gottverdammte Platte
auf.«
    »Sie ist eine Weile nicht gespielt worden, laß sie mich
erst reinigen…« Stewart reinigte die Platte, legte sie auf: Can’t Stand The Rezillos. Mein Gott, dachte er, das war
von 1978 und bedeutete tatsächlich heute schon Klänge aus
der Vergangenheit. Stewart nickte im Takt der Musik, ließ sich
wieder in seinem Armsessel nieder. »Ich mag diese sanften,
melodischen Lieder«, rief er. Die Spur, auf die er die Nadel
gesetzt hatte, war Somebody’s Gonna Get Their Head Kicked in
Tonight.
    Er hob Stewart seine Bierdose entgegen. »Allmächtiger
Gott, sieben Jahre!« Stewart beugte sich vor, die Hand ans Ohr
gelegt. Er wies auf den Plattenteller, brüllte: »Ich sagte,
sieben Jahre…« Er nickte zu dem Hi-Fi-Gerät hin.
»Das da: Achtundsiebzig.« Stewart lehnte sich zurück,
schüttelte mit Nachdruck den Kopf.
    »O nein, dreiunddreißigeindrittel!« schrie er.

 
     
    Ich bin darauf reduziert, mir den Lebensunterhalt mit
Geschichtenerzählen zu verdienen. Ich durchforsche meine
Träume nach Leckerbissen, um damit meinen argwöhnischen
Feldmarschall und seine buntscheckige Bande von blöden
mörderischen Untergebenen zu füttern. Wir hocken um ein
Feuer aus heruntergefallenen Fahnen und kostbaren Büchern. Die
Flammen schimmern auf ihren Patronengurten und Bajonetten. Wir essen
Menschenfleisch und trinken rohen Whisky. Der Feldmarschall prahlt
mit berühmten Schlachten, in denen er gesiegt hat, mit all den
Frauen, die er gefickt hat, und dann, wenn ihm keine weiteren
Lügen mehr einfallen wollen, verlangt er eine Geschichte von
mir. Ich erzähle ihm die von dem kleinen Jungen, dessen Dad
einen Taubschenschlag hatte und der sich später als Mann,
nachdem sein Heiratsantrag abgelehnt worden war, am
glücklichsten oben in einem taubenschlagähnlichen
Gebäude von monumentalen Proportionen fühlte.
    Der Feldmarschall ist nicht beeindruckt. Deshalb gehe ich zum
Anfang zurück.
    Als ich nach meiner melodramatischen Ohnmacht im Büro des
grauhaarigen Mannes mit dem klopfenden Schlüssel und dem grauen
Schreibtisch wieder zu mir kam, hatte der Zug, in den ich gesteckt
worden war, schon den Rest der Republik hinter sich gelassen und
dampfte über den Damm auf das andere Ufer des beinahe
kreisrunden Meeres zu. Dann kam ein Stück kalte, öde
Tundra.
    Man hatte mich mit neuer Kleidung ausgerüstet, einer Uniform
für den Zug. Ich lag in einer kleinen Koje, und ich hatte mir
die Hose naßgemacht. Ich fühlte mich schrecklich; in
meinem Kopf hämmerte es, an verschiedenen Stellen tat es mir
weh, und der alte kreisrunde Schmerz in meiner Brust war auch wieder
da. Rings um mich ratterte der Zug.
    Ich sollte als Kellner arbeiten. Der Zug enthielt mehrere
ältere Beamte der Republik, die auf einer Friedensmission waren
– ich fand nie genau heraus, wer sie waren oder welche Art von
Frieden sie anstrebten –, und ich sollte sie zusammen mit einem
erfahrenen Chief Steward im Speisewagen bedienen, ihnen Getränke
servieren, ihre Bestellungen entgegennehmen, ihnen das Essen bringen.
Glücklicherweise waren sie die meiste Zeit betrunken, diese
alternden Bürokraten, und meine anfänglichen Patzer blieben
größtenteils unbemerkt, während der Steward mich
anlernte. Manchmal mußte ich auch Betten machen oder in den
Schlafabteilen und in den Gemeinschaftswagen ausfegen und Staub
wischen und polieren.
    Wenn dies eine Strafe war, dachte ich, dann eine sehr milde. Wie
ich später herausfand, hatte mich allein die Tatsache, daß
ich – für diese Leute – ein taubstummer Analphabet
war, vor einem schlimmeren Schicksal gerettet. Da ich Gespräche,
die ich hörte, nicht verstand, und keine Zeitungen lesen konnte,
die in den Wagen herumlagen, durfte man mir trauen und mich
verwenden. Natürlich lernte ich etwas von der Sprache, aber mein
Wortschatz beschränkte sich fast ausschließlich auf Dinge,
die mit dem Servieren bei Tisch zu tun hatten, und das Entziffern von
Schildern, auf denen BITTE NICHT STÖREN und Ähnliches
stand. Ich tat meine Arbeit. Der Zug rollte durch die windgefegte
Tundra, vorbei an flachen Städten und Lagern

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