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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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stehengelassenen Wagens schwamm näher an
die von keiner Kühlerfigur gezierte Schnauze des Jaguars heran,
als er gleichzeitig kippte, sich eingrub und zu rutschen begann. Er
versuchte, sich schlaff zu machen, sich zu entspannen, sich
mitreißen zu lassen, aber mit dem Fuß fest auf der Bremse
ging das nicht. Er dachte: Du verd…
     
    Der individuell umgebaute weiße Jaguar, Kennzeichen 233 FS,
raste in das Heck des MG und überschlug sich. Der Mann am Steuer
des Jaguars wurde nach vorn und nach oben geschleudert. Der
Sicherheitsgurt hielt, aber das kleine Steuerrad schoß nach
oben und traf seine Brust wie ein kreisförmiger
Schmiedehammer.

 
     
    Niedrige wellige Hügel unter einem dunklen Himmel. Es sieht
aus, als spiegle die Unterseite der sich herabsenkenden,
rötlichen Wolken die sanften Konturen des Landes unten wider.
Die Luft ist dick und schwer; sie riecht nach Blut.
    Unter den Füßen ist es naß, aber nicht vom
Wasser. Welche große Schlacht über diesen Hügeln, die
sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken scheinen, auch
ausgefochten sein mag, sie hat das Land mit Blut getränkt.
Überall liegen Tote, Tiere aller Arten und Menschen aller Farben
und Rassen und dazu noch viele andere. Ich entdecke schließlich
den kleinen dunklen Mann, der von einer Leiche zur anderen geht.
    Er ist in Lumpen gekleidet. Wir haben uns zuletzt in… Mokka?
gesehen (oder Occam – oder so ähnlich), als er die Wellen
mit einem eisernen Flegel schlug. Nun sind es Leichen. Hundert
Schläge pro Leiche, falls noch etwas übrig ist, das man
schlagen kann. Ich sehe ihm eine Weile zu.
    Es ist ruhig, methodisch, schlägt jede Leiche genau
einhundertmal, bevor er zu der nächsten weitergeht. Er zeigt
keine Vorliebe, was Spezies, Geschlecht, Größe oder Farbe
angeht; er schlägt jede mit der gleichen Entschlossenheit, wenn
möglich auf den Rücken, ansonsten so, wie sie gerade
liegen. Nur wenn sie volle Rüstung tragen, berührt er sie,
bückt sich steif, um ein Visier hochzuschieben oder einen
Brustriemen zu lösen.
    »Hallo«, sagt er. Ich bleibe für den Fall,
daß er Befehl hat, jeden auf dem Schlachtfeld zu peitschen, in
einiger Entfernung stehen.
    »Erinnern Sie sich an mich?« frage ich ihn. Er
streichelt seine blutige Peitsche.
    »Kann ich nicht sagen«, antwortet er. Ich erzähle
ihm von der Stadt am Meer. Er schüttelt den Kopf. »Nein, da
bin ich nie gewesen.« Er sucht eine Weile in seinen schmutzigen
Lumpen und bringt eine kleine rechteckige Karte zum Vorschein. Er
wischt sie mit einem Fetzen ab, hält sie mir hin. Ich trete
vorsichtig näher. »Nehmen Sie sie«, nickt er.
»Mir ist gesagt worden, ich soll sie Ihnen geben. Hier.« Er
beugt sich vor. Ich nehme die Karte, trete zurück. Es ist eine
Spielkarte, die Karo-Drei.
    »Was soll ich damit?« frage ich ihn. Er zuckt nur die
Achseln, wischt sich die Peitschenhand an einem zerlumpten Ärmel
ab.
    »Weiß nicht.«
    »Wer hat sie Ihnen gegeben? Woher wußte
er…?«
    »Ist es wirklich notwendig, all diese Fragen zu
stellen?« Er schüttelt den Kopf. Ich schäme mich.
    »Vermutlich nicht.« Ich halte die Spielkarte hoch.
»Danke.«
    »Gern geschehen«, sagt er. Ich hatte vergessen, wie
sanft seine Stimme ist. Ich wende mich zum Gehen, dann sehe ich zu
ihm zurück.
    »Noch etwas.« Ich weise mit dem Kinn auf die Leichen,
die den Boden wie gefallene Blätter bedecken. »Was ist hier
geschehen? Was ist mit all diesen Leuten geschehen?«
    Er zuckt die Achseln. »Sie haben nicht auf ihre Träume
gehört.« Damit wendet er sich erneut seiner Arbeit zu.
    Ich gehe wieder, gehe auf die ferne Lichterreihe zu, die den
Horizont wie mit einem Streifen weißen Goldes füllt.
     
    Ich verließ die Stadt in dem ausgetrockneten Meeresbecken
und folgte der Eisenbahnlinie in der Richtung, in die der Zug des
Feldmarschalls vor dem Angriff gefahren war. Verfolgt wurde ich
nicht, aber ich hörte von der Stadt her Gewehrfeuer.
    Die Landschaft veränderte sich allmählich, wurde weniger
unwirtlich. Ich fand Wasser und nach einer Weile Früchte an
Bäumen. Das Klima verlor an Rauheit. Manchmal sah ich Menschen,
die allein reisten wie ich oder in Gruppen. Ich hielt mich von ihnen
fern, und sie gingen mir aus dem Weg. Sobald ich herausgefunden
hatte, daß ich ungefährdet wandern und Essen und Wasser
finden konnte, kamen die Träume jede Nacht.
    Es waren immer der gleiche namenlose Mann und die gleiche Stadt.
Die Träume kamen und gingen, wiederholten und wiederholten sich.
Ich sah so vieles,

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