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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Gustave nicht
nachgefaßt. Vielleicht hatte er es einfach nötig, zu
reden, über irgend etwas.
    »Übrigens, wie geht es den Kindern?« fragte er.
     
    Stewart machte sich etwas zu essen und fragte, ob er auch etwas
wolle, aber er hatte keinen Hunger. Sie rauchten noch einen Joint, er
trank eine weitere Dose, sie redeten. Der Nachmittag ging in den
Abend über. Nach einer Weile fühlte Stewart sich müde
und sagte, er wolle sich ein bißchen aufs Ohr legen. Er werde
den Wecker stellen und rechtzeitig wieder aufstehen, um den Tee zu
machen. Sie könnten auf ein Glas ausgehen, nachdem sie gegessen
hätten.
    Er hörte sich eine alte Jefferson-Ariplane-Platte über
Kopfhörer an, aber sie war zerkratzt. Er betrachtete die
Bücher seines Freundes, trank aus der Dose und rauchte den
letzten Joint zu Ende. Schließlich stellte er sich ans Fenster
und sah über die Schieferdächer auf den Park, das Tal, die
Palastruine und die Abtei hinaus.
    Langsam wich das Licht aus dem teilweise bewölkten Himmel.
Die Straßenlaternen brannten, und die Straßen waren voll
von geparkten oder langsam fahrenden Wagen, zweifellos Leuten
gehörend, die Weihnachtseinkäufe machten. Er stellte sich
vor, wie der Ort ausgesehen haben mochte, als der Palast noch der
Wohnsitz von Königen war.
    Das Königreich von Fife. Heute ein kleiner Ort, aber damals
groß genug. Rom war anfangs auch klein gewesen und hatte sich
davon nicht aufhalten lassen. Wie hätte die Welt wohl
ausgesehen, wenn ein Teil Schottlands – bevor dieser Staat
existierte – aufgeblüht wäre wie Rom? Nein, zu der
Zeit hatte es hier nicht den richtigen Background gegeben, das
Vermächtnis der Geschichte. Athen, Rom, Alexandria, sie hatten
Bibliotheken, als alles, was wir hatten, Bergfestungen waren; wir
waren keine Wilden, aber zivilisiert waren wir auch nicht. Bis wir
soweit waren, daß wir unsere Rolle hätten spielen
können, war es schon zu spät. Wir sind immer zu früh
oder zu spät dran gewesen, und das Beste, was wir geleistet
haben, war für andere Leute.
    Doch das war wohl sentimentaler Scotizismus. Was war mit
Klassenbewußtsein anstatt Nationalismus? Also wirklich.
    Wie brachte sie es übers Herz? Abgesehen davon, daß
dies ihre Heimat war, wo ihre Mutter und ihre ersten Freunde lebten,
wo sich so viele ihrer ersten Erinnerungen ebenso wie ihr Charakter
geformt hatten, wie konnte sie aufgeben, was sie heute besaß?
Von sich selbst wollte er gar nicht reden; er war bereit, sich aus
der Gleichung wegzulassen… Aber sie hatte so vieles zu tun und
zu sein… Wie brachte sie es nur übers Herz?
    Aufopferung, die erst nach dem Mann kommende Frau, die den Mann
umsorgende Frau, die Frau, die sich selbst an die zweite Stelle setzt
– das widersprach allem, woran sie glaubte.
    Er war bis heute nicht fähig gewesen, mit ihr vernünftig
darüber zu reden. Sein Herz schlug schneller. Er mußte die
Dose absetzen, nachdenken. Er wußte nicht recht, was er ihr
sagen wollte, er hatte nur den Wunsch, überhaupt mit ihr zu
reden, sie in seinen Armen zu halten, einfach mit ihr zusammen zu
sein. Er wollte ihr alles erzählen, was er je für sie
empfunden hatte, er wollte über Gustave reden, über sie,
über sich selbst. Er wollte ganz ehrlich mit ihr sein, so
daß sie wenigstens genau erfuhr, was er empfand, und sich keine
Illusionen über ihn machte. Es war wichtig, verdammt noch
mal.
    Er leerte die Dose, warf den Stummel des Joint hinein und
drückte das rote Blech dann ordentlich zusammen. Ein
bißchen Bier tröpfelte auf seine Hand. Er wischte sie sich
ab. Ich muß es ihr sagen. Ich muß jetzt mit ihr reden.
Was macht sie heute abend? Sicher sind sie und ihre Mutter zu Hause.
Ja, beide. Es findet etwas statt, wozu auch ich eingeladen war, aber
ich wollte Stewart besuchen. Ich werde sie anrufen. Er ging ans
Telefon.
    Besetzt. Wahrscheinlich wieder mal ein stundenlanges Gespräch
mit Gustave. Selbst wenn sie zu Hause war, verbrachte sie die halbe
Zeit mit ihm. Er legte auf und schritt im Zimmer hin und her. Sein
Herz klopfte, seine Hände schwitzten. Er mußte pinkeln; er
ging ins Bad, wusch sich hinterher die Hände, gurgelte mit
Mundwasser. Er fühlte sich gut. Er kam sich nicht einmal stoned
oder betrunken vor. Noch einmal versuchte er anzurufen. Besetzt. Er
stand am Fenster. Der Jaguar war zu erkennen, wenn er dicht an die
Scheibe trat und genau nach unten blickte. Ein weißer,
kurvenreicher Geist auf der dunklen Straße. Wieder sah er auf
die Armbanduhr. Er fühlte sich prima,

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