Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
ist
unterhaltsam, ohne hinreißend zu sein, sie fesselt meine
Aufmerksamkeit, ohne Besitz von mir zu ergreifen. Vielleicht ist es
so am besten. Sie nickt.
    »Ich glaube, sie sind recht leicht zu täuschen, wenn sie
den Verstand wie einen Muskel behandeln. Anscheinend kommt es ihnen
überhaupt nicht in den Sinn, daß ihre Patienten versuchen
könnten, ihnen absichtlich etwas vorzumachen.«
    Das möchte ich bezweifeln. Für Dr. Joyce zum Beispiel
ist es eine Sache des beruflichen Stolzes, das, was seine Patienten
ihm erzählen, niemals ganz zu glauben. »Nun«, erwidere
ich, »ich glaube, ein guter Arzt wird den heuchelnden Patienten
für gewöhnlich entdecken. Den meisten Leuten fehlt die
Phantasie, um die Rolle gut genug zu spielen.«
    Sie zieht die Brauen zusammen. »Vielleicht.« Sie starrt
in meine Richtung, ohne mich zu sehen. »Ich denke gerade an
meine Kindheit, als wir…«
    Der junge Mann, der ihr gegenübersitzt, die Arme auf den
Tisch und den Kopf auf die Arme gelegt hat, richtet sich in diesem
Augenblick auf, gähnt und sieht sich mit trüben Augen um.
Abberlaine Arrol wendet sich ihm zu. »Ah, wach noch einmal
auf«, sagt sie zu ihm, einem schlaksigen Burschen mit dicht
beieinanderstehenden Augen und langer Nase. »Wir haben letzten
Endes also doch eine beschlußfähige Anzahl von Neuronen
zusammengekratzt, oder?«
    »Sei kein Ekel, Abby«, stöhnt er nach einem mich
als unwichtig abtuenden Blick auf mich. »Hol mir
Wasser!«
    »Du magst ein Tier sein, lieber Bruder«, gibt sie
zurück, »aber ich bin nicht dein Wärter.«
    Er sucht auf dem Tisch, der fast ganz mit schmutzigen Tellern und
leeren Gläsern bedeckt ist. Abberlaine Arrol sieht mich an.
»Vermutlich wissen Sie nicht, ob Sie Brüder
haben?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
    »Hmm.« Sie steht auf und geht zur Bar. Der junge Mann
schließt die Augen und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück,
läßt ihn leicht schaukeln. Die Bar leert sich
allmählich. Man sieht nur noch wenige Beine, die unter weit
entfernten Tischen hervorlugen und Zeugnis davon geben, wo die
alkoholisierten Exkursionen ihrer Eigentümer in die längst
vergangene Zeit der Fortbewegung auf vier Füßen ihr Ende
in der Verblödung gefunden haben. Abberlaine Arrol kehrt mit
einem Krug Wasser zurück. Sie raucht eine lange, dünne
Zigarre. Vor dem jungen Mann bleibt sie stehen, gießt ihm ein
bißchen Wasser über den Kopf und pafft dabei.
    Er fällt fluchend zu Boden und steht zitterig wieder auf. Sie
reicht ihm den Krug, und er trinkt. Sie betrachtet ihn mit einer Art
amüsierter Verachtung.
    »Haben Sie heute morgen die berühmten Flugzeuge gesehen,
Mr. Orr?« fragt Miss Arrol mit dem Blick auf ihren Bruder, nicht
auf mich.
    »Ja. Sie auch?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Man hat mir davon
erzählt, aber anfangs dachte ich, es sei ein Scherz.«
    »Sie kamen mir durchaus wirklich vor.«
    Ihr Bruder trinkt den Krug leer und wirft ihn mit theatralischer
Geste hinter sich. Das Gefäß zerschellt auf einem im
Schatten stehenden Tisch. Abberlaine Arrol schüttelt den Kopf.
Der junge Mann gähnt.
    »Ich bin müde. Gehen wir. Wo ist Dad?«
    »In den Club gegangen. Aber das ist einige Zeit her;
vielleicht ist er inzwischen schon zu Hause.«
    »Gut. Komm!« Er geht auf die Treppe zu. Miss Arrol
bedenkt mich mit einem Achselzucken.
    »Ich muß gehen, Mr. Orr.«
    »Schon recht.«
    »Ich fand es nett, mit Ihnen zu plaudern.«
    »Dann war es ein gegenseitiges Vergnügen.«
    Sie sieht dahin, wo der junge Mann, die Hände in die
Hüften gestemmt, am Kopf der Treppe wartet.
»Vielleicht«, sagt sie zu mir, »finden wir
Gelegenheit, die Unterhaltung zu einem späteren Zeitpunkt
fortzusetzen.«
    »Das hoffe ich.«
    Sie bleibt noch für einen Augenblick stehen, schlank, ein
bißchen derangiert, raucht ihre Zigarre. Dann vollführt
sie eine tiefe, spöttische Verbeugung mit ausholender
Armbewegung und geht. Die Zigarre steckt ihr im Mund. Eine Linie aus
grauem Rauch kräuselt sich hinter ihr her.
     
    Die Nachtschwärmer sind gegangen. Die meisten Leute, die noch
in Dissy Pittons Bar anwesend sind, gehören zum Personal. Sie
schalten das Licht aus, wischen Tische ab, fegen den Fußboden,
heben Betrunkene auf. Ich sitze da und trinke mein Glas Wein aus. Es
ist warm und bitter, aber mir widerstrebt es, ein nicht
leergetrunkenes Glas stehenzulassen.
    Schließlich stehe ich auf und gehe durch den engen Gang, den
die noch brennenden Lampen bilden, zur Treppe. »Sir!«
    Ich drehe mich um. Ein

Weitere Kostenlose Bücher