Die Brücke
nickt, bevor er sich
wieder mir zuwendet. »Bouch«, teilt er mir mit. Dann nimmt
er seinen eigenen Mantel von der Rückenlehne einer Couch.
»Was?« frage ich.
»Tommy Bouch.« Brooke zieht den Mantel an. »Er
wollte den Hut.«
»Wozu?«
»Weiß ich nicht, Orr«, gesteht Brooke.
»Und wo ist er?« Ich sehe mich in der Bar um.
»Ist vor einer Weile nach draußen gegangen«,
berichtet Brooke. Er knöpft seinen Mantel zu. Fowler und Baker
stehen hinter ihm, schwanken unsicher.
»Wollt ihr drei gehen?« frage ich
unnötigerweise.
»Wir müssen.« Brooke nimmt meinen Arm, beugt sich
näher zu mir. »Dringender Termin bei Mrs. Hanover«,
flüstert er laut.
»Mrs…«, beginne ich. Mrs. Hanover führt ein
lizensiertes Bordell. Ich weiß, daß Brooke und seine
Busenfreunde es gelegentlich besuchen, und ich vermute, es wird
hauptsächlich von Ingenieuren frequentiert (eine Heerschar auf
der Hand liegender Assoziationen drängt sich auf). Ich bin
früher schon eingeladen worden mitzukommen, habe jedoch
klargemacht, daß ich kein Interesse daran habe. Diese
Zurückhaltung entspringt meiner Eitelkeit, nicht moralischen
Skrupeln. Das habe ich Brooke versichert, aber er läßt
nicht von dem Verdacht, ich sei – trotz meines Geredes über
Sex, Politik und Religion – prüde.
»Sie wollen wohl nicht mitkommen?« fragt Brooke.
»Danke, nein«, antworte ich.
»Hmm, habe ich mir gedacht«, nickt Brooke. Wieder nimmt
er meinen Arm, bringt seinen Mund nahe an mein Ohr. »Wissen Sie,
Orr, es ist nämlich ein bißchen peinlich…«
»Was?« Ingenieur Fowler spricht, wie ich sehe, mit einem
langhaarigen jungen Mann, der im Schatten hinter ihm sitzt. Ein
zweiter junger Mann ist über dem Tisch zusammengesunken.
»Es ist Arrols Tochter.« Brooke blickt über die
Schulter zurück.
»Wer?«
»Chef-Ingenieur Arrols Tochter«, zischelt Brooke.
»Sie hat sich uns sozusagen angeschlossen, verstehen Sie, und
ihr Bruder ist eingeschlafen, und wenn wir jetzt weggehen, ist
niemand mehr da, der… Hören Sie, es macht Ihnen doch nichts
aus… mit ihr zu reden, nicht wahr?«
»Brooke«, erkläre ich kalt, »erst rufen Sie
mich um fünf Uhr morgens an, und dann…« – weiter
komme ich nicht.
Baker, der von einem ängstlich dreinblickenden Fowler
gestützt wird, rempelt Brooke an und sagt: »Ich finde, wir
gehen jetzt besser, Brooke, mir ist nicht ganz gut…«
Ingenieur Baker bricht ab, rülpst. Seine Wangen blasen sich auf,
er schluckt, dann verzieht er das Gesicht und deutet mit einem
Kopfnicken in Richtung der Treppe zum unteren Stockwerk.
»Müssen gehen, Orr«, erklärt Brooke hastig und
nimmt einen von Bakers Armen, während Fowler den anderen packt.
»Bis später. Danke, daß Sie sich um das Mädchen
kümmern wollen. Sie werden sich selbst vorstellen müssen,
tut mir leid.« Die drei poltern an mir vorbei; Brooke
drückt mir den breitrandigen Hut wieder in die Hand. Fowler
zieht Baker auf die Treppe zu, und Brooke, der an Bakers anderem Arm
hängt, wird mitgeschleppt. »Ich werde Tommy Bouch von dem
Hut sagen, wenn ich ihn sehe!« ruft Brooke.
Sie taumeln zusammen durch die Menge, auf die Treppe zu. Ich drehe
mich um, und meine Aufmerksamkeit wird auf den jungen Mann gelenkt,
mit dem Fowler vorhin gesprochen hat. Er sieht mit ziemlich
verschwiemelten Augen hoch und lächelt mir zu.
Falsch. Kein junger Mann, eine junge Frau. Sie trägt einen
dunklen, recht gut geschnittenen Anzug mit einer weiten Hose, einer
Brokat-Weste, auf der eine ziemlich protzige Goldkette liegt, und
einem weißen Baumwollhemd. Der Hemdkragen steht offen, eine
aufgegangene schwarze Fliege hängt davon herunter. Schwarze
Schuhe. Ihr Haar ist dunkel, schulterlang. Sie sitzt seitwärts
auf einem Sessel, ein Bein unter den Körper gezogen. Eine
dunkle, geschwungene Augenbraue hebt sich. Ich folge ihrem Blick
dahin, wo der Dreifuß aus Ingenieuren, die soeben den Tisch
verlassen haben, versucht, sich durch das Gewimmel von Körpern
am Fuß der Treppe zu navigieren. »Glauben Sie, daß
sie es schaffen?« fragt das Mädchen. Sie neigt den Kopf auf
die Seite, stützt mit einer zur Faust geballten Hand den
Hinterkopf.
»Ich glaube, ich würde bei einer Wette eine sehr hohe
Quote verlangen«, antworte ich. Sie nickt nachdenklich und nimmt
einen Schluck aus einem hohen Glas.
»Ja, ich auch«, meint sie. »Entschuldigen Sie, ich
kenne Ihren Namen nicht.«
»Mein Name ist John Orr.«
»Abberlaine Arrol.«
»Sehr erfreut«, sage ich.
Abberlaine Arrol
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