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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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betrachte
den Umschlag. Der Brief ist mir von meiner alten Wohnung
nachgeschickt worden.
    »Alles okay?« fragt Mr. Lynch. Seine Hände stecken
in den Taschen seines Mantels, als seien die Aufschläge seiner
Hose voll von gestohlenem Blei und er versuche verzweifelt, sie
festzuhalten. »Doch keine schlechten Nachrichten?«
    »Nein, Mr. Lynch. Tatsächlich möchte eine junge
Dame, daß ich sie zum Dinner ausführe… Ich muß
telefonieren. Doch vergessen Sie nicht, nach dieser Sache haben Sie
den ersten Anspruch auf meine mageren Fähigkeiten als
Dinner-Gastgeber.«
    »Ganz wie Sie wollen, Freund.«
     
    Mein Glück hält an. Miss Arrol ist zu Hause. Jemand, den
ich für einen Diener halte, geht, sie zu suchen. Es kostet mich
mehrere Münzen und führt mich zu dem Schluß,
daß die Wohnung der Arrols von beträchtlicher
Größe sein muß.
    »Mr. Orr! Hallo!« meldet sie sich atemlos.
    »Guten Tag, Miss Arrol. Ich habe Ihre Nachricht
erhalten.«
    »Oh, gut. Sind Sie heute abend frei?«
    »Ich würde mich gern mit Ihnen treffen,
aber…«
    »Was ist los, Mr. Orr? Sie sprechen, als hätten Sie
einen Schnupfen.«
    »Es ist kein Schnupfen, es ist mein Mund… Es
ist…« Ich breche ab. »Miss Arrol, ich würde Sie
heute abend sehr gern sehen, aber leider habe ich… habe ich eine
Art Niederlage erlitten. Ich bin verlegt worden, und das läuft
auf eine Degradierung hinaus. Dr. Joyce hat mich nach unten
befördern lassen. Auf Ebene U7, um genau zu sein.«
    »Oh.« Die Ausdruckslosigkeit, mit der sie dieses
einfache Wort ausspricht, sagt mir in meinem fieberigen Zustand mehr
als eine ganze Stunde höflicher Erklärungen über
Schicklichkeit, Stellungen innerhalb der Gesellschaft, Diskretion und
Takt. Vielleicht wird von mir erwartet, daß ich noch etwas
sage, aber das bringe ich nicht fertig. Wie lange warte ich auf ein
weiteres Wort? Höchstens zwei Sekunden? Drei? Das ist nichts,
gemessen in Brückenzeit, aber genug, um von einem Augenblick der
Verzweiflung auf ein Plateau des Zorns aufzusteigen. Soll ich den
Hörer auflegen, weggehen, dieser schmutzigen Sache ein
möglichst sauberes und schnelles Ende bereiten? Ja, sofort, um
meine eigene Bitterkeit zu befriedigen… aber ich habe es nicht
in mir. Gleich werde ich es tun, um dem Mädchen weitere
Verlegenheit zu ersparen.
    »Entschuldigen Sie, Mr. Orr, ich habe nur eben die Tür
geschlossen. Mein Bruder ist irgendwo in der Nähe. Also, wohin
hat man Sie verlegt? Kann ich Ihnen helfen? Möchten Sie,
daß ich jetzt zu Ihnen komme?«
    Orr, du bist ein Idiot!
     
    Ich ziehe Sachen von Abberlaine Arrols Bruder an. Sie traf eine
Stunde vor der Zeit, zu der wir uns treffen wollten, mit einem Koffer
voller abgelegter Kleidungsstücke hier ein. Die meisten haben
ihrem Bruder gehört; sie meint, wir hätten so ungefähr
die gleiche Figur. Ich ziehe mich um, während sie draußen
wartet. Es war mir recht zuwider, sie in einer so vulgären
Gegend allein zu lassen, aber sie hätte ja nicht gut im Zimmer
bleiben können.
    Sie lehnt im Korridor an der Wand, ein Bein hinter sich
hochgezogen, so daß ihre eine Hinterbacke auf der Ferse ruht,
hat die Arme übereinandergeschlagen und spricht mit Mr. Lynch,
der sie mit so etwas wie argwöhnischem Respekt betrachtet.
    »O nein, mein Lieber«, sagt Abberlaine Arrol, »wir
wechseln zur Halbzeit immer die Seiten.« Sie kichert. Mr. Lynch
blickt schockiert drein, dann prustet er vor Lachen. Miss Arrol sieht
mich. »Ah, Mr. Orr!«
    »Derselbe.« Ich mache eine kleine Verbeugung. »Oder
vielmehr, nicht ganz.«
    Abberlaine Arrol, todschick in Beutelhosen aus grober schwarzer
Seide mit passender Jacke, Baumwollbluse, hohen Absätzen und
aufregendem Hut, meint: »Was sehen Sie elegant aus, Mr.
Orr!« Sie reicht mir einen schwarzen Stock. »Ihr
Stock.«
    »Danke«, sage ich. Sie streckt den Arm aus, wartet, also
biete ich ihr meinen, und sie nimmt ihn. Arm in Arm stehen wir Mr.
Lynch gegenüber. Ich fühle ihre Wärme durch das
Jackett ihres Bruders.
    »Sehen wir nicht fein aus, Mr. Lynch?« Sie streckt sich,
legt den Kopf zurück. Mr. Lynch scharrt mit den
Füßen.
    »O ja, sehr… sehr…« Mr. Lynch sucht nach einem
Wort. »Sehr… ein sehr… schönes Paar.«
    »Danke, Mr. Lynch.« Sie wendet sich mir zu. »Wie es
um Sie steht, weiß ich nicht, aber ich bin am
Verhungern.«
     
    »Und was werden Sie jetzt als erstes tun, Mr. Orr?«
Abberlaine Arrol dreht ihr Whisky-Glas in den Händen, späht
durch das blaue Bleikristallglas und die Flüssigkeit von

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