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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Dr. Joyce?«
    Der junge Empfangschef kichert. Ich drehe mich zu ihm um. In
diesem Augenblick läutet das Telefon. Er meldet sich.
    »Praxis von Dr. Joyces«, sagt er. »Nein, der Doktor
ist leider nicht hier. Er ist bei der Jahreskonferenz der leitenden
Administratoren.« Dabei dreht er sich in seinem Sessel und
bedenkt mich mit einem Ausdruck höhnischer Herablassung.
»Zwei Wochen.« Er grinst mich an. »Möchten Sie
den Code für ein Ferngespräch? O ja, guten Morgen, Officer;
ja, Mr. Berkeley, natürlich. Und wie geht es Ihnen?… Ach
ja? Wirklich? Eine Waschmaschine? Was Sie nicht sagen! Also, das ist
eine neue Idee. Hm-hmm.« Der junge Empfangschef blickt
professionell ernst drein und fängt an, sich Notizen zu machen.
»Und wie viele Socken hat er gegessen?… Ich verstehe. Gut.
Ja, verstanden: Ich werde sofort jemanden in den Waschsalon
hinunterschicken. Das geht in Ordnung, Officer, und darf ich Ihnen
einen wunderschönen Tag wünschen? Bis dann.«
    Mein neuer Arzt heißt Anzano. Seine Räume sind etwa ein
Viertel so groß wie die von Dr. Joyce, liegen achtzehn
Stockwerke tiefer und haben keine Aussicht nach draußen. Er ist
ein alter Mann, rund wie ein Faß mit spärlichen gelben
Haaren und dazu passenden Zähnen.
    Ich bekomme ihn zu sehen, nachdem ich zwei Stunden gewartet
habe.
    »Nein«, sagt der Arzt, »ich glaube nicht, daß
ich etwas wegen Ihrer Verlegung unternehmen kann. Dazu bin ich nicht
da, verstehen Sie. Lassen Sie mir Zeit, lassen Sie mich Ihre Akte
lesen, haben Sie Geduld. Ich habe im Augenblick eine Menge um die
Ohren. Um Sie werde ich mich kümmern, sobald ich kann. Dann
werden wir sehen, daß Sie wieder gesund werden, was meinen
Sie?« Er gibt sich Mühe, fröhlich und ermutigend
dreinzublicken.
    »Und in der Zwischenzeit?« frage ich. Ich bin müde.
Ich muß schrecklich aussehen; mein Gesicht pocht, und mit dem
linken Auge kann ich nicht richtig sehen. Mein Haar ist ungewaschen,
und es war mir heute morgen nicht möglich, mich zu rasieren. Wie
kann ich überzeugend Anspruch auf meinen früheren
Lebensstil erheben, wenn ich so aussehe, so schlecht gekleidet und,
wie ich argwöhne, in jedem Sinne des Wortes geschlagen bin?
    »In der Zwischenzeit?« Dr. Anzano sieht mich perplex an.
Er zuckt die Achseln. »Brauchen Sie ein Rezept? Haben Sie genug
von allem, was Sie…« Er greift nach seinem Rezeptblock. Ich
schüttle den Kopf.
    »Ich meine, was soll wegen meiner… Situation
geschehen?«
    »Da kann ich nicht viel tun, Mr. Orr. Ich bin nicht Dr.
Joyce; ich kann mir selbst keine vornehme Wohnung zuteilen, ganz zu
schweigen von meinen Patienten.« Der alte Arzt spricht, als sei
er ein bißchen verbittert und auf mich ärgerlich.
»Warten Sie einfach, bis Ihr Fall überprüft wird; ich
werde die Empfehlungen geben, die ich für angemessen halte. Ist
sonst noch etwas? Ich bin ein sehr beschäftigter Mann. Ich kann nicht auf Konferenzen herumsausen, verstehen Sie.«
    »Nein, sonst ist nichts mehr.« Ich stehe auf.
»Danke, daß Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben.«
    »Nichts zu danken. Mein Sekretär wird sich mit Ihnen
wegen eines Termins in Verbindung setzen; bestimmt schon sehr bald.
Und wenn Sie irgend etwas brauchen, rufen Sie mich einfach
an.«
    Ich kehre in mein Zimmer zurück.
    Mr. Lynch kommt wieder an meine Tür.
    »Mr. Lynch. Guten Tag.«
    »Oh, Scheiße, was ist denn mit Ihnen
passiert?«
    »Hatte Streit mit einem verrückt gewordenen
Türsteher. Kommen Sie doch herein. Möchten Sie sich nicht
setzen?«
    »Kann nicht bleiben; ich habe Ihnen das hier
mitgebracht.« Er schiebt mir ein zusammengefaltetes, gesiegeltes
Stück Papier in die Hand. Mr. Lynchs Finger hinterlassen
Abdrücke auf dem Umschlag. Ich öffne den Brief. »Der
Briefträger hat ihn in die Tür geklemmt; hätte
gestohlen werden können.«
    »Ich danke Ihnen, Mr. Lynch«, sage ich.
»Können Sie wirklich nicht bleiben? Ich hatte gehofft, mich
für Ihre Freundlichkeit gestern revanchieren zu können,
indem ich Sie heute abend zum Dinner einlade.«
    »Ach, tut mir leid, Freund, nein. Muß Überstunden
machen.«
    »Nun, dann ein anderes Mal.« Ich überfliege den
Brief. Er ist von Abberlaine Arrol. Sie gesteht ziemlich unverfroren,
eine angebliche Verabredung zum Dinner mit mir benutzt zu haben, um
sich vor einer Verpflichtung zu drücken, bei der es bestimmt
tödlich langweilig zugehen würde. Wäre ich
einverstanden, ihr Komplize nach der Tat zu sein? Sie gibt die
Telefonnummer ihrer Eltern an; ich soll sie anrufen. Ich

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