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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Schirm ist weiß, eine
strukturierte Leere. Ich will ihn abschalten, doch bevor ich das tun
kann, kommt etwas Dunkles in Sicht und zieht sich wieder zurück.
Eine Hand. Das Bild wackelt, stabilisiert sich dann zu dem Mann im
Bett. Eine Frau entfernt sich von der Kamera. Am Rand des Schirms
bleibt sie stehen. Sie hebt eine Bürste und zieht sie langsam
durch ihr Haar, sieht dabei geradeaus auf etwas, das ein Spiegel an
der Wand sein muß. Ansonsten hat sich das Bild des Mannes im
Bett nur wenig verändert. Ein Stuhl ist an eine andere Stelle
gerückt worden, und das Bett ist nicht ganz so ordentlich, wie
es war.
    Nach einer Weile legt die Frau die Bürste hin, beugt sich
vor, eine Hand an der Stirn, richtet sich wieder auf. Sie nimmt die
Bürste und geht weg, kommt als dunkler Fleck an der Kamera
vorbei. Ich erhalte keinen guten Blick auf ihr Gesicht.
    Mein Mund ist trocken. Die Frau taucht am Bett wieder auf. Sie hat
einen dunklen Mantel an. Sie blickt auf den Mann nieder, dann
bückt sie sich, küßt ihn auf die Stirn und streicht
ihm die Haare aus dem Gesicht. Sie ergreift einen Koffer, der auf dem
Fußboden steht, und verläßt das Zimmer. Ich schalte
den Apparat ab.
    An der Küchenwand hängt ein Telefon. Das Geräusch
ist da, nicht ganz regelmäßig, vielleicht ein
bißchen schneller als zuvor.
     
    Ich verlasse die Wohnung und nehme einen Lift zum Zugdeck.
    Es ist neblig; Lichter schneiden gelbe und orangefarbene Kegel aus
dem dicken Dampf. Trams und Züge fahren vorbei, pfeifen und
rattern. Ich wandere über den Fußgängerweg an der
Außenseite der Brücke, die Hand auf dem hohen
Geländer. Nebel treibt sacht durch die Träger;
Nebelhörner tuten von dem unsichtbaren Meer herauf.
    Menschen kommen vorbei, die meisten Eisenbahner. Ich rieche Dampf
in dem Nebel und Kohlenrauch und Dieseldünste. In einem Schuppen
sitzen uniformierte Männer an runden Tischen, lesen Zeitungen,
spielen Karten, trinken aus großen Bechern. Ich gehe weiter.
Die Brücke erschauert unter meinen Füßen, und ein
krachendes, knirschendes, metallisches Geräusch kommt von
irgendwo weiter vorn. Das Geräusch hallt durch die Brücke
wider, wird von der Sekundär-Architektur reflektiert, springt
durch die nebelerfüllte Luft. Ich gehe durch eine dichte Stille,
dann ertönen die Nebelhörner, eins nach dem anderen. Ich
höre, wie Züge und Trams in der Nähe langsamer werden,
stehenbleiben. Vor mir erwachen Sirenen und Hupen zum Leben.
    Ich gehe am äußersten Rand der Brücke durch den
schimmernden Nebel. Meine Beine schmerzen wieder, in meiner Brust ist
ein dumpfes Hämmern wie eine Sympathie-Kundgebung. Ich denke an
Abberlaine; von der Erinnerung an sie müßte es mir besser
gehen, aber das tut es nicht. Es ist in einer Spuk-Wohnung geschehen,
die Geister dieses sinnlosen Geräusches und dieses nahezu
unveränderlichen Bildes waren die ganze Zeit da, eine
Handbewegung entfernt, eine Schalterdrehung entfernt, wahrscheinlich
sogar dann, als ich sie das erste Mal küßte, sogar dann,
als ihre vier Glieder mich umfaßten und ich vor Entsetzen
aufschrie.
    Die Züge sind jetzt verstummt; schon seit mehreren Minuten
ist in beiden Richtungen nichts mehr vorbeigekommen. Hupen und
Sirenen wetteifern mit den tutenden Nebelhörnern.
    Ja, wirklich sehr süß und gut, und ich würde zu
gern bei dieser frischen Erinnerung verweilen, aber etwas in mir will
das nicht geschehen lassen. Ich versuche, mir zurückzurufen, wie
sie riecht und sich anfühlt und wie warm sie ist. Aber alles,
was ich heraufbeschwören kann, ist diese Frau, die ruhig ihr
Haar bürstet, in einen unsichtbaren Spiegel sieht und
bürstet, bürstet. Ich versuche, mich zu erinnern, wie das
Zimmer aussah, aber ich sehe es nur in Schwarzweiß von der
einen oberen Ecke über dem Bett aus und den einen Mann
darin.
    Ein Zug fährt im Nebel mit flackernden Lichtern auf die immer
noch heulenden Sirenen zu.
    Übrigens, was jetzt? Oh, mehr, noch viel mehr davon, sagt
dieser frisch befriedigte Teil meines Geistes, Nächte und Tage
davon, Wochen und Monate davon, bitte. Aber was ist es in
Wirklichkeit? Eine weitere Ablenkung, noch etwas von der Art der
verlorengegangenen Bibliotheken und unbegreiflichen
Flugzeug-Missionen und erfundenen Träume?
    So oder so, ich kann mir nicht vorstellen, daß viel Gutes
dabei herauskommen wird.
    Ich gehe weiter, hinein in den wogenden Nebel, in den Lärm
der Sirenen und Rufe und prasselnden Flammen, mit denen ein
verunglückter Zug brennt.
    Die Flammen sehe ich

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