Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
wissen.
»Wie wurde die Abtreibung durchgeführt? Wie lange hat es anschließend geblutet?«, fragte sie direkt.
»Wir hatten viele Ärzte unter den Genossen, das war kein Problem«, antwortete Christa überrascht.
»Wie lange hast du anschließend geblutet?«
»Nicht lange und überhaupt nur wenig. Wieso?«
»Wie erfolgte der Eingriff, chirurgisch oder anders? Du weißt, dass ich dich untersuchen muss, aber erzähle mir, wie es ablief.«
»Sehr ordentlich in einer Klinik, allerdings nachts, aber in einer Praxis für Privatpatienten. Der Genosse Arzt spritzte eine Salzlösung, eigentlich normales Wasser, nur sterilisiert. Behauptete er jedenfalls.«
»Durch den Gebärmuttermund?«
»Ja, also … dort unten, und falls das der Gebärmuttermund ist, dann war es das also.«
»Hast du nach wie vor ganz normal deine Tage?«
»Meine Güte, was für ein Gesprächsthema!«
»Wir sind Freundinnen, und ich bin Ärztin. Also?«
»Ja, wie ein Uhrwerk und fast immer noch so stark wie in der Jugend!«
Ingeborg beugte sich vor und küsste Christa vorsichtig auf die Wange. Sie lächelte, sagte aber nichts.
»Ich bin der Meinung, dass die Frau das Recht hat, über ihren eigenen Körper zu verfügen, und falls du mich deswegen verurteilen willst, dann tu das! Aber werde ich noch …«
»Hör auf, geliebte Freundin!«, fiel ihr Ingeborg ins Wort. »Ich habe mir Sorgen um deine Gesundheit gemacht,
nicht um deine Moral. Im Übrigen bin ich im Prinzip deiner Meinung und hätte die Eingriffe selbst durchgeführt, wenn das möglich gewesen wäre. Du bist immer noch fruchtbar, du hast keine bleibenden Schäden davongetragen, ich brauche dich nicht einmal zu untersuchen. Kochsalzlösung einzuspritzen ist im Übrigen die schonendste Methode, die es gibt, wenn man sie nicht zu spät anwendet.«
Sie verstummten. Auch dieses wichtige Thema hatten sie jetzt vorläufig geklärt. So war es, wenn sich Freundinnen nach langer Zeit wiedersahen, dann mussten sie eine Frage nach der anderen abarbeiten.
»Ich wünsche mir Kinder«, sagte Christa nach einer Weile. »Das lässt sich nicht leugnen. Dieses Glück, das du in deinen Briefen beschrieben hast, macht mich … Nein, man kann nicht neidisch auf seine engste Freundin sein. Aber so wie du es beschreibst, ist es im wahrsten Sinne des Wortes wunderbar.«
»Dann musst du dich beeilen, einen Mann zu finden. Die Menopause ist nicht mehr fern«, meinte Ingeborg und zupfte an ihrem Rock.
»Die Meno… was?«
»Der Zeitpunkt, ab dem man keine Kinder mehr bekommen kann. Du solltest möglichst noch heute einen Mann finden!«
Sie lachten und fielen sich in die Arme.
Bis zum Pariser Platz war es ein Stück zu gehen. Dort hatten sie sich mit Lauritz und den Kindern verabredet.
Ingeborg und Christa waren beide erleichtert. Nicht einmal die schwierigsten Themen hatten ihre lange Freundschaft erschüttern können. Ihre gute Laune grenzte fast
an Euphorie, sie kicherten, lachten und unterhielten sich nun über Alltagsthemen: Kinder, Männer, Fragen des Haushalts.
Aber nicht nur darüber. Erstaunlicherweise befanden sie sich auf dem Weg zu einer »militaristischen« Manifestation. Ihre brieflichen Auseinandersetzungen galten hauptsächlich dem Militarismus. Die Sozialdemokraten hatten den Krieg Deutschlands mit der Begründung gutgeheißen, Deutschland sei Opfer einer internationalen Verschwörung zur Begrenzung seiner Macht geworden.
Christa und ihre politischen Freunde hatten dies als einen unverzeihlichen Verrat empfunden. Die Arbeiter der Welt durften sich nicht von den Imperialisten zu Kanonenfutter machen lassen. Wenn Deutschlands Arbeiter die Waffen auf die Bourgeoisie statt auf ihre Klassenbrüder gerichtet hätten, dann würde die Welt heute anders aussehen.
Vielleicht.
Ingeborg hatte trocken erwidert, dass Deutschland den Krieg dann schneller und mit geringeren Verlusten verloren hätte, aber im Großen und Ganzen wäre doch alles beim Alten geblieben.
Jetzt war diese Diskussion allerdings sinnlos. Sie beschleunigten ihre Schritte, weil sie sich ein wenig verspätet hatten. Zu ihrem Erstaunen erblickten sie vor dem Brandenburger Tor eine riesige Menschenmenge.
Zehntausende waren gekommen, um den einzigen deutschen Siegern des Weltkrieges zuzujubeln, den deutschen Truppen in Afrika, der tapferen Schar, die von den Hunderttausenden britischer und südafrikanischer Soldaten nie besiegt worden waren.
Lauritz und Ingeborg waren davon ausgegangen, dass es sich um eine kleine
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