Die Brüder Karamasow
Knöpfen. Um den Kopf hatte Fjodor Pawlowitsch den roten Verband, den schon Aljoscha an ihm gesehen hatte. ›Er hat sich fein gemacht‹, dachte Mitja. Fjodor Pawlowitsch stand nahe am Fenster, offensichtlich in Gedanken versunken; plötzlich hob er den Kopf und horchte einen Augenblick. Da er jedoch nichts hörte, trat er an den Tisch, goß sich aus einer Karaffe ein halbes Gläschen Kognak ein und trank es aus. Dann seufzte er tief, stand wieder ein Weilchen still, trat zerstreut an den Spiegel am Fensterpfeiler, schob mit der rechten Hand den roten Verband ein wenig nach oben und betrachtete seine blauen Flecke und die Schorfe, die noch nicht verschwunden waren. ›Er ist allein!‹ dachte Mitja. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er allein ... Fjodor Pawlowitsch trat vom Spiegel zurück, wandte sich plötzlich dem Fenster zu und blickte hinaus. Mitja sprang sofort zurück in den Schatten.
›Sie ist vielleicht hinter dem Schirm, möglicherweise schläft sie schon?‹ Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich ins Herz. Fjodor Pawlowitsch trat vom Fenster zurück. ›Er hält nach ihr Ausschau, also ist sie nicht bei ihm – welchen Grund hätte er sonst, in die Dunkelheit zu starren? Offenbar verzehrt ihn die Ungeduld ... ›Mitja sprang sogleich wieder ans Fenster und schaute von neuem hinein. Der Alte saß jetzt an einem Tischchen, sichtlich in gedrückter Stimmung. Endlich stützte er den rechten Ellenbogen auf den Tisch und legte die Handfläche an die Backe. Mitja beobachtete ihn mit größter Spannung.
›Er ist allein, er ist allein!‹ sagte er sich wieder. ›Wenn sie da wäre, würde er ein anderes Gesicht machen!‹ Merkwürdig: in seinem Herzen regte sich auf einmal ein sinnloser, absonderlicher Ärger darüber, daß sie nicht da war. ›Nein, nicht darüber, daß sie nicht da ist‹, gab sich Mitja, der sich sofort über sein Gefühl klarzuwerden suchte, selbst Antwort. ›Eher darüber, daß ich beim besten Willen nicht zuverlässig herausbekommen kann, ob sie da ist oder nicht.‹ Mitja erinnerte sich später, daß sein Geist in jenem Augenblick völlig klar gewesen war, daß er sich alles bis in die geringste Einzelheit deutlich vorgestellt und jeden Umstand bemerkt hatte. Aber der Mißmut darüber, daß er nichts Bestimmtes wußte und infolgedessen auch keinen Entschluß fassen konnte, wuchs in seinem Herzen mit maßloser Schnelligkeit. Ist sie nun eigentlich hier oder nicht?‹ fragte er sich voller Wut. Und plötzlich faßte er einen Entschluß, streckte die Hand aus und klopfte leise an den Fensterrahmen. Er klopfte das Signal, das der Alte mit Smerdjakow verabredet hatte: die beiden ersten Male langsam und dann dreimal schneller – das Signal, welches bedeutete, Gruschenka ist gekommen! Der Alte fuhr zusammen, hob den Kopf, sprang auf und stürzte ans Fenster. Mitja sprang in den Schatten zurück. Fjodor Pawlowitsch öffnete das Fenster und steckte den Kopf hinaus.
»Gruschenka, du? Bist du es?« sagte er flüsternd, mit zitternder Stimme. »Wo bist du, meine Teure? Mein Engelchen, wo bist du?«
Er war schrecklich aufgeregt und atmete nur mühsam.
›Er ist allein!‹ sagte sich Mitja mit Bestimmtheit.
»Wo bist du denn?« rief der Alte wieder, streckte den Kopf noch weiter heraus, mitsamt den Schultern, und sah sich nach allen Seiten um. »Komm doch her! Ich habe ein kleines Geschenk für dich zurechtgemacht. Komm, ich will es dir zeigen!«
›Er meint das Kuvert mit den dreitausend Rubeln!‹ sagte sich Mitja.
»Wo bist du denn? Bist du etwa an der Tür? Warte, gleich werde ich aufmachen ...«
Und der Alte kroch beinahe aus dem Fenster, indem er sich bemühte, nach rechts zur Gartentür zu sehen und in der Dunkelheit zu unterscheiden, ob da jemand stand. Noch eine Sekunde, und er wäre hingelaufen, um die Tür aufzuschließen, ohne Gruschenkas Antwort abzuwarten. Mitja sah ihn von der Seite und rührte sich nicht. Das ganze widerwärtige Profil des Alten, das herabhängende Doppelkinn, die gekrümmte Nase, die in wollüstiger Erwartung lächelnden Lippen, all das wurde vom Licht der Lampe, das schräg von links aus dem Zimmer fiel, hell beleuchtet. Eine rasende Wut loderte plötzlich in Mitjas Herzen auf: ›Da ist er, mein Nebenbuhler, der böse Dämon meines Lebens!‹ Das war ein Anfall jener plötzlichen, rachsüchtigen, rasenden Wut, von der er, wie in einer Vorahnung, in dem Gespräch mit Aljoscha vor vier Tagen in der Laube gesprochen und auf Aljoschas Frage: »Wie kannst du
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