Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
nur sagen, du würdest den Vater töten?« geantwortet hatte.
    »Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, hatte er gesagt, »vielleicht ermorde ich ihn nicht, aber vielleicht tue ich es. Ich fürchte, er wird mir plötzlich verhaßt sein durch sein Gesicht in jenem Augenblick. Ich hasse sein Doppelkinn, seine Nase, seine Augen, sein schamloses Lachen. Ich empfinde einen physischen Ekel vor ihm. Das ist es, was ich befürchte: Dann werde ich mich nicht beherrschen können!«
    Der physische Ekel wuchs unerträglich. Mitja wußte nicht mehr, was er tat, und zog plötzlich den Messingstößel aus der Tasche ...
    ›Gott muß mich damals behütet haben‹, sagte Mitja später, zur selben Zeit erwachte auf seinem Lager der kranke Grigori Wassiljewitsch. Am Abend dieses Tages hatte er sich der Kur unterzogen, von der Smerdjakow Iwan Fjodorowitsch berichtet hatte; er hatte sich mit einem geheimnisvollen starken Branntweinaufguß eingerieben, den Rest zu einem bestimmten Gebet, das seine Gattin flüsterte, ausgetrunken und sich dann schlafen gelegt. Marfa Ignatjewna hatte ebenfalls ein wenig von dem Branntwein genossen und war, da sie Alkohol nicht gewöhnt war, an der Seite ihres Mannes in einen todähnlichen Schlaf gesunken. Aber da erwachte Grigori auf einmal ganz unerwartet in der Nacht, überlegte einen Augenblick und richtete sich im Bett auf, obgleich er sofort wieder einen starken Schmerz im Kreuz spürte. Dann überlegte er noch ein wenig, stand auf und kleidete sich rasch an. Vielleicht hatte er Gewissensbisse, daß er schlief, während das Haus »in so einer gefährlichen Zeit« ohne Wächter war. Smerdjakow lag, von seinem epileptischen Anfall entkräftet, in der Kammer nebenan, ohne sich zu rühren. Marfa Ignatjewna bewegte sich nicht. ›Das Weib ist schwach geworden!‹ dachte Grigori Wassiljewitsch bei ihrem Anblick und trat ächzend auf die Stufen vor der Haustür hinaus. Allerdings wollte er sich nur von dort aus umsehen, da er sich nicht imstande fühlte zu gehen; der Schmerz im Kreuz und im rechten Bein war unerträglich. Aber da fiel ihm ein, daß er das Pförtchen zum Garten am Abend nicht zugeschlossen hatte. Er war peinlich gewissenhaft und hielt aufs strengste an der einmal eingeführten Ordnung und an langjährigen Gewohnheiten fest. Hinkend und schmerzverkrümmt stieg er die Stufen hinab und wandte sich dem Garten zu. Und richtig: die Pforte stand weit offen. Mechanisch ging er in den Garten hinein; vielleicht schwante ihm etwas, vielleicht hatte er irgendeinen Laut gehört; doch als er nach links schaute, erblickte er das geöffnete Fenster, wo jetzt niemand mehr heraussah.
    ›Warum ist das Fenster offen? Es ist doch jetzt nicht Sommer!‹ dachte Grigori.
    Und plötzlich gewahrte er undeutlich vor sich im Garten etwas Außergewöhnliches. Ungefähr vierzig Schritte vor ihm schien in der Dunkelheit ein Mensch zu laufen; sehr schnell bewegte sich da ein Schatten.
    »Herrgott!« sagte Grigori und lief los, seine Kreuzschmerzen vergessend, um dem Laufenden den Weg abzuschneiden.
    Er schlug einen kürzeren Weg ein, da ihm der Garten offensichtlich besser bekannt war als dem Flüchtenden. Der aber lief zum Badehäuschen, dann um dieses herum und stürzte auf den Zaun zu. Grigori folgte ihm, ohne ihn aus den Augen zu verlieren und ohne an sich selbst zu denken. Er kam gerade in dem Augenblick zum Zaun, als der Flüchtling schon hinaufstieg. Außer sich vor Wut brüllte Grigori los, stürzte zu ihm hin und klammerte sich mit beiden Händen an sein Bein.
    Richtig, seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen, er erkannte ihn. Er war es, »der entsetzliche Vatermörder«!
    »Vatermörder! schrie der Alte, daß es weithin zu hören war. Mehr konnte er nicht schreien. Wie vom Blitz getroffen, fiel er plötzlich zu Boden. Mitja sprang wieder in den Garten und beugte sich über ihn. In der Hand hatte Mitja den Messingstößel; er schleuderte ihn mechanisch von sich ins Gras. Der Stößel fiel zwei Schritte neben Grigori nieder, aber nicht ins Gras, sondern auf den Weg, auf die sichtbarste Stelle. Einige Sekunden betrachtete Mitja den Alten: Sein Kopf war ganz voll Blut. Mitja streckte die Hand aus und begann ihn zu betasten. Er erinnerte sich später deutlich, daß ihm in jenem Moment sehr daran gelegen war, »genau zu konstatieren«, ob er dem Alten den Schädel zerschmettert oder ihn nur »betäubt« hatte. Das Blut strömte heftig und übergoß mit heißem Strahl Mitjas zitternde Finger. Er erinnerte sich später auch,

Weitere Kostenlose Bücher