Die Brüder Karamasow
Mädchen gern!« befahl Mitja eifrig und nachdrücklich.
»Sahnebonbons – von mir aus. Aber wozu brauchst du vier Dutzend Flaschen Champagner? Ein Dutzend reicht doch!« rief Pjotr Iljitsch, nun schon beinahe ärgerlich.
Er fing an zu feilschen, verlangte die Rechnung und wollte sich gar nicht beruhigen. Er rettete allerdings nur hundert Rubel. Man einigte sich schließlich, daß die gelieferte Ware nicht mehr als dreihundert Rubel kosten sollte.
»Ach, hol' euch der Teufel!« rief Pjotr Iljitsch, als käme er auf einmal zur Besinnung. »Was geht mich diese ganze Geschichte an? Wirf dein Geld doch weg, wenn du es so mühelos bekommen hast!«
»Hierher, du Knauser, hierher! Ärgere dich nicht!« sagte Mitja und zog ihn in das Zimmer hinter dem Laden. »Paß auf, man wird uns gleich eine Flasche herbringen, die wollen wir uns zu Gemüte führen. Ach, Pjotr Iljitsch, fahr doch mit! Du bist so ein lieber Mensch, solche Menschen habe ich gern.«
Mitja setzte sich auf einen kleinen Rohrstuhl, an ein winziges Tischchen, das mit einer schmutzigen Serviette bedeckt war. Pjotr Iljitsch nahm ihm gegenüber Platz, und der Champagner kam auch sofort. Der Gehilfe fragte noch, ob die Herren nicht Austern wünschten: »Prima Qualität, soeben eingetroffen.«
»Zum Teufel mit den Austern! Ich esse keine. Und wir brauchen weiter nichts!« rief Pjotr Iljitsch bissig.
»Zum Austernessen haben wir keine Zeit«, bemerkte Mitja. »Und ich habe auch keinen Appetit darauf ... Weißt du, lieber Freund«, sagte er auf einmal mit echter Empfindung, »ich habe diese ganze Unordnung nie leiden können.«
»Wer kann die denn überhaupt leiden? Drei Dutzend Flaschen Champagner für die Bauern, ich bitte dich! Das ist ja empörend!«
»Davon rede ich nicht. Ich rede von einer höheren Art Ordnung. In mir ist keine Ordnung, keine höhere Ordnung. Aber ... Das alles ist abgeschlossen; darüber zu trauern ist nutzlos. Es ist zu spät, zum Teufel! Mein ganzes Leben war Unordnung, und schaffen muß man Ordnung. Ein Wortspiel, nicht?«
»Das ist kein Wortspiel, sondern sinnloses Gerede!«
»Ruhm dem Höchsten, der die Welten
all erfüllt und meine Brust!
Dieses Verschen hat sich einmal meiner Seele entrungen. Es ist eigentlich kein Vers, sondern eine Träne ... Ich habe ihn selbst gemacht ... Aber nicht damals, als ich den Stabskapitän am Bart gezogen habe ...«
»Wie kommst du plötzlich auf den?«
»Wie ich plötzlich auf den komme? Unsinn! Alles nimmt ein Ende, alles wird ausgeglichen. Strich drunter – und das Fazit.«
»Wahrhaftig, ich muß immer an deine Pistolen denken.«
»Auch die Pistolen sind Unsinn! Trink und phantasiere nicht! Ich liebe das Leben, ich liebe es bereits so übermäßig, daß es geradezu scheußlich ist. Genug! Auf das Leben, Täubchen, laß uns auf das Leben trinken; ich bringe einen Toast auf das Leben aus! Warum bin ich mit mir zufrieden? Ich bin ein gemeiner Mensch, aber ich bin mit mir zufrieden. Zwar quält es mich, daß ich ein gemeiner Mensch bin, aber ich bin mit mir zufrieden. Ich segne die Schöpfung, ich bin auf der Stelle bereit, Gott und seine Schöpfung zu segnen, aber ... Man muß ein übelriechendes Insekt vernichten, damit es nicht umherkriecht und anderen Wesen das Leben verdirbt ... Laß uns auf das Leben trinken, lieber Bruder! Was kann kostbarer sein als das Leben? Nichts, nichts! Auf das Leben und auf die Königin der Königinnen!«
»Trinken wir auf das Leben und meinetwegen auch auf deine Königin!«
Jeder trank ein Glas. Mitja war hingerissen und redete allerlei durcheinander; dennoch war ihm eine gewisse Traurigkeit anzumerken, als ob eine unüberwindliche Sorge auf ihm lastete.
»Mischa ... Dein Mischa ist gekommen ... Mischa, Täubchen, komm mal her und trink dieses Glas aus! Auf den morgigen goldlockigen Phöbus ...«
»Warum gibst du ihm das?« rief Pjotr Iljitsch gereizt.
»Erlaube es doch, ist ja nichts dabei! Ich möchte es gern.«
Mischa trank das Glas aus, verbeugte sich und lief wieder weg.
»Er wird lange daran denken«, bemerkte Mitja. »Ich liebe das Weib, das Weib! Was ist das Weib? Die Königin der Erde! Mir ist traurig zumute, Pjotr Iljitsch, traurig. Erinnerst du dich an Hamlet: ›Es ist mir so traurig zumute, Horatio, so traurig ... Ach, armer Yorick!‹ Ich bin vielleicht dieser arme Yorick. Jetzt bin ich Yorick, später jedoch ein Schädel.«
Pjotr Iljitsch hörte zu und schwieg. Auch Mitja war ein Weilchen still.
»Was ist das für ein Hündchen?«
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