Die Brüder Karamasow
nicht in das große, wo sich der Chor der Mädchen versammelte und der Tisch gedeckt wurde, sondern in eine Schlafstube, in der Truhen und Kästen und zwei Betten standen, jedes mit einem ganzen Berg von Kissen in Baumwollbezügen. In einer Ecke brannte auf einem kleinen Brettertisch ein Licht.
Der kleine Pole und Mitja setzten sich einander gegenüber an dieses Tischchen, und der baumlange Pan Wroblewski stellte sich, die Hände auf dem Rücken, neben sie. Die Polen machten ernste Gesichter, waren aber offenbar sehr neugierig.
»Womit kann ich dem Herrn dienen?« fragte der kleine Pole unsicher.
»Das will ich Ihnen sagen, Panie. Ich werde nicht viele Worte machen. Hier ist Geld für Sie ...« Er zog seine Banknoten heraus. »Wenn Sie dreitausend Rubel wollen – bitte – nehmen Sie sie, und reisen Sie damit, wohin Sie wollen!«
Der Pole schaute Mitja mit weitgeöffneten Augen prüfend an.
»Dreitausend Rubel, Panie?«
Er wechselte einen Blick mit Wroblewski.
»Dreitausend, Panowie, dreitausend! Hören Sie, Panie. Ich sehe, daß Sie ein verständiger Mensch sind. Nehmen Sie die dreitausend Rubel, und scheren Sie sich zu allen Teufeln! Und nehmen Sie auch Ihren Wroblewski mit! Hören Sie? Aber sofort, augenblicklich, verstehen Sie, Panie? Für immer, ja? Hier durch diese Tür werden Sie hinausgehen. Was haben Sie mitgebracht, einen Überzieher, einen Pelz? Ich werde Ihnen die Sachen bringen. Und gleich wird eine Troika für Sie angespannt, und dann leben Sie wohl, Panie! Na?«
Mitja erwartete zuversichtlich eine bejahende Antwort. Er zweifelte nicht daran.
Ein Ausdruck fester Entschlossenheit schimmerte auf dem Gesicht des kleinen Polen auf.
»Und wie steht es mit dem Geld, Panie?«
»Mit dem Geld? Hören Sie zu, Panie. Fünfhundert Rubel gebe ich Ihnen sofort, für den Wagen und als Anzahlung. Und zweitausendfünfhundert bekommen Sie morgen in der Stadt. Mein Ehrenwort darauf! Sie werden da sein – und wenn ich sie aus der Erde holen müßte!« rief Mitja.
Die Polen sahen einander wieder an. Das Gesicht des Kleinen veränderte sich zum schlechteren.
»Siebenhundert, siebenhundert, nicht fünfhundert! Gleich, in die Hand!« sagte Mitja zulegend; er fühlte, daß die Sache schiefging. »Was ist, Panie? Trauen Sie mir nicht? Ich kann Ihnen doch nicht die ganzen dreitausend mit einemmal geben. Wenn ich das täte, würden Sie gleich morgen wieder zu ihr zurückkehren ... Und ich habe auch jetzt nicht die ganzen dreitausend bei mir. Sie liegen bei mir zu Hause«, stammelte Mitja, mit jedem Wort ängstlicher und mutloser. »Bei Gott, sie liegen da gut verwahrt ...«
Augenblicklich drückte sich ein Gefühl außerordentlicher eigener Würde auf dem Gesicht des kleinen Polen aus. »Wünschen Sie sonst noch etwas?« fragte er ironisch. »Pfui! O pfui!« Er spuckte aus.
Auch Pan Wroblewski spuckte aus.
»Sie verschmähen mein Angebot doch nur deshalb, Panie«, sagte Mitja in heller Verzweiflung, da er einsah, daß alles aus war, »weil Sie von Gruschenka noch mehr herauspressen wollen. Gauner sind Sie alle beide, daß Sie es wissen!«
»Ich bin aufs tiefste beleidigt!« rief der kleine Pole auf polnisch.
Vor Zorn krebsrot im Gesicht, verließ er mit schnellen Schritten das Zimmer, als ob er nichts weiter hören wollte.
Ihm folgte mit seinem schaukelnden Gang auch Wroblewski. Hinter ihnen ging Mitja, verwirrt und bestürzt. Er fürchtete sich vor Gruschenka; er ahnte, daß der Pole sogleich ein großes Geschrei erheben würde. Das geschah denn auch. Der kleine Pole trat in das blaue Zimmer und stellte sich in theatralischer Haltung vor Gruschenka hin.
»Pani Agrippina, ich bin aufs tiefste beleidigt!« begann er auf polnisch, doch Gruschenka schien plötzlich alle Geduld zu verlieren, als hätte jemand ihre wundeste Stelle berührt.
»Sprich russisch, kein Wort polnisch will ich mehr hören!« schrie sie ihn an. »Du hast doch früher russisch gesprochen, hast du es in den fünf Jahren etwa vergessen?«
Sie war vor Zorn ganz rot geworden.
»Pani Agrippina ...«
»Ich heiße Agrafena, ich heiße Gruschenka! Sprich russisch, oder ich will dich gar nicht hören!«
Der Pole, in seinem Ehrgefühl tief verletzt, atmete nur mühsam und sagte, das Russische radebrechend, schnell und stolz: »Pani Agrafena, ich bin hergekommen, um das Alte zu vergessen und zu verzeihen, um zu vergessen, was vor dem heutigen Tag gewesen ist ...«
»Was redest du von Verzeihen? Du bist hergekommen, um mir zu verzeihen?«
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