Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
auf ihn, mir kam bloß auf einmal in den Kopf, das könnte eine hübsche Szene werden. Aber diese Szene war doch echt und natürlich, denn ich brach sogar in Tränen aus, noch mehrere Tage danach habe ich geweint, aber dann nach dem Mittagessen hatte ich auf einmal alles vergessen. Nun hat er mich schon seit zwei Wochen nicht mehr besucht, und ich dachte: ›Wird er wirklich gar nicht mehr kommen?‹ Das dachte ich noch gestern, und dann, am Abend, bekam ich diese ›Gerüchte‹. Ich las sie und stöhnte auf. Wer hat das wohl geschrieben? Das ist er gewesen, er ist damals nach Hause gekommen, hat sich hingesetzt, diesen Artikel geschrieben, ihn eingesandt – und nun ist er gedruckt worden! Unser Zerwürfnis war ja vor zwei Wochen. Aber es ist schrecklich, was ich da alles rede, Aljoscha, und ausgerechnet von dem Wichtigsten rede ich nicht. Ach, man kommt ganz von selbst ins Reden!«
    »Es liegt mir heute außerordentlich viel daran, rechtzeitig zu meinem Bruder zu kommen«, bemerkte Aljoscha.
    »Richtig, das war es! Sie haben mich an alles erinnert! Hören Sie, was ist das: ein Affekt?«
    »Was für ein Affekt?« fragte Aljoscha erstaunt.
    »Ein gerichtlicher Affekt. Einer, dessentwegen einem alles verziehen wird. Man mag getan haben, was man will, es wird einem verziehen.«
    »Was meinen Sie denn eigentlich?«
    »Das will ich Ihnen sagen. Diese Katja... Ach, sie ist so ein liebes Wesen, ich weiß nur nicht, in wen sie eigentlich verliebt ist. Neulich saß sie bei mir, und ich konnte es absolut nicht herausbekommen. Um so weniger, da sie jetzt immer von so
    nebensächlichen Dingen redet, kurz, sie spricht immer nur von meiner Gesundheit und von weiter nichts, und sie hat sogar einen eigentümlichen Tonfall angenommen, aber ich habe mir gedacht: ›Na, laß sie, Gott verzeihe ihr!‹ ... Ach ja, nun also dieser Affekt. Sie wissen, daß jener Arzt angekommen ist, der Arzt, der sich auf die Irrsinnigen versteht? Nun, wie sollten Sie das nicht wissen, Sie haben ihn ja selbst hergerufen, das heißt, nicht Sie, sondern Katja! Immer Katja! Also, da ist ein Mensch, der ganz und gar nicht irrsinnig ist, doch auf einmal hat er einen Affekt. Er ist bei vollem Bewußtsein und weiß, was er tut, aber dabei befindet er sich in einem Affekt. Na, wahrscheinlich ist auch Ihrem Bruder Dmitri Fjodorowitsch so ein Affekt passiert. Als die neuen Gerichte eingeführt wurden, hat man auch gleich das mit dem Affekt entdeckt, der ist eine Wohltat der neuen Gerichte. Jener Arzt war also bei mir und fragte mich über den Abend aus, über die Goldbergwerke und so und was er auf mich für einen Eindruck gemacht hat. Natürlich muß er in einem Affekt gewesen sein, er kam und schrie: ›Geld, Geld, dreitausend Rubel, geben Sie mir dreitausend Rubel!‹ Und dann ging er und verübte den Mord. Ich will nicht morden sagte er sich. Ich will nicht morden! Und auf einmal mordete er doch. Und deswegen wird man ihm die Tat auch verzeihen weil er sich selbst dagegen gesträubt und sie doch begangen hat.«
    »Aber er hat den Mord doch gar nicht begangen«, unterbrach Aljoscha sie in etwas scharfem Ton. Unruhe und Ungeduld bemächtigten sich seiner mehr und mehr.
    »Ich weiß, den Mord hat dieser alte Grigori begangen ...«
    »Was? Grigori?« rief Aljoscha.
    »Ja der. Grigori ist es gewesen. Als Dmitri Fjodorowitsch ihn niedergeschlagen hatte, lag er zunächst da, dann stand er auf, sah die Tür offen, ging hinein und ermordete Fjodor Pawlowitsch.«
    »Aber warum denn?«
    »Er hat einen Affekt bekommen. Nachdem er von Dmitri Fjodorowitsch den Schlag über den Kopf erhalten und das Bewußtsein verloren hatte, kam er wieder zu sich, bekam einen Affekt, ging hin und verübte den Mord. Und wenn er selbst sagt, er hätte ihn nicht begangen, so erinnert er sich vielleicht bloß nicht. Aber sehen Sie, weit besser wird es sein, wenn Dmitri Fjodorowitsch den Mord begangen hat! Und so ist es auch gewesen. Ich sage zwar, daß es Grigori war, doch es ist bestimmt Dmitri Fjodorowitsch gewesen, und das ist auch viel, viel besser! Nicht deswegen, weil der Sohn den Vater ermordet hat, so etwas lobe ich nicht, die Kinder sollen ihre Eltern ehren, trotzdem ist es besser, wenn er es gewesen ist, weil Sie dann keinen Grund zu weinen haben, da er den Mord im Unterbewußtsein begangen hat, oder richtiger gesagt, mit Bewußtsein, aber ohne zu wissen, was in ihm vorging ... Nein, mögen sie ihm verzeihen, das ist so human, dann wird man auch sehen, welche Wohltat die neuen

Weitere Kostenlose Bücher