Die Brüder Karamasow
Hauptmann a. D., ein frecher Wüstling, Müßiggänger und Verteidiger der Leibeigenschaft, habe sich ständig mit Liebschaften abgegeben und einen besonderen Einfluß auf einige »einsame Damen« ausgeübt. Eine derartige Dame, »eine sich langweilende Witwe«, die gern die Jugendliche spiele, obwohl sie schon eine erwachsene Tochter habe, sei so in ihn verliebt gewesen, daß sie ihm zwei Stunden vor dem Verbrechen dreitausend Rubel angeboten habe, unter der Bedingung, daß er sogleich mit ihr in die Goldbergwerke ginge. In der Hoffnung, ungestraft zu bleiben, habe es der Bösewicht jedoch vorgezogen, lieber seinen Vater totzuschlagen und ihm dreitausend Rubel zu rauben, als mit den vierzigjährigen Reizen einer sich langweilenden Dame nach Sibirien zu gehen. Diese humoristische Korrespondenz schloß, wie es sich gehört, mit dem Ausdruck edler Entrüstung über die Unsittlichkeit des Vatermordes und der früheren Leibeigenschaft.
Nachdem Aljoscha den Artikel gelesen hatte, faltete er das Blatt zusammen und gab es Frau Chochlakowa zurück.
»Nun, bin ich das etwa nicht?« schwatzte sie weiter! »Das bin ich, denn ich habe ihn ja eine Stunde vorher auf die Goldbergwerke hingewiesen, und nun heißt es da auf einmal ›vierzigjährige Reize‹! Habe ich etwa in diesem Sinn davon gesprochen? Das hat er aus Bosheit getan! Möge ihm der Ewige Richter die vierzigjährigen Reize verzeihen, so wie ich sie ihm verzeihe! Aber wissen Sie, wer es war, wer das geschrieben hat? Ihr Freund Rakitin!«
»Das kann schon sein«, erwiderte Aljoscha, »Obgleich ich nichts davon gehört habe.«
»Er ist es, er ist es! Von ›kann schon sein‹ ist nicht die Rede! Ich habe ihn ja hinausgeworfen ... Sie kennen doch wohl diese ganze Geschichte?«
»Ich weiß, daß Sie ihn ersucht haben, Sie künftig nicht mehr zu besuchen, aber weswegen eigentlich, das habe ich, wenigstens von Ihnen, nicht gehört.«
»Also haben Sie es von ihm gehört! Nun, wie ist es? Schimpft er auf mich? Schimpft er sehr?«
»Ja, er schimpft. Aber er schimpft ja auf alle Menschen. Doch aus welchem Grund Sie ihm Ihr Haus verboten haben, habe ich auch von ihm nicht gehört. Überhaupt komme ich jetzt nur selten mit ihm zusammen. Wir sind keine Freunde.«
»Nun, dann will ich Ihnen das alles erzählen, und ich muß es leider so nennen, reuevoll beichten, denn es ist da ein Punkt, in dem ich vielleicht selbst schuldig bin. Nur ein kleines kleines Pünktchen, ein ganz kleines, so daß es vielleicht überhaupt nicht existiert. Sehen Sie, mein Täubchen ..,« Frau Chochlakowa setzte plötzlich eine eigentümlich schalkhafte Miene auf, und um ihre Lippen spielte ein liebenswürdiges und etwas rätselhaftes Lächeln! »Sehen Sie, ich vermutete ... Sie verzeihen mir, Aljoscha, ich rede zu Ihnen wie eine Mutter, o nein, im Gegenteil, ich rede zu Ihnen jetzt wie zu meinem Vater, denn der Ausdruck Mutter paßt hier überhaupt nicht her ... Nun, ich rede zu Ihnen wie zum Starez Sossima in der Beichte, und das paßt durchaus, ich habe Sie ja auch vorhin einen Einsiedler genannt ... Nun also, dieser arme junge Mensch, Ihr Freund Rakitin, o Gott, ich kann ihm einfach nicht böse sein, das heißt, ich bin auf ihn böse, aber nicht sehr, kurz, dieser leichtsinnige junge Mann kam auf einmal, denken Sie sich nur, auf den Einfall, sich in mich zu verlieben. Ich merkte es erst später; zuerst, das heißt ungefähr vor einem Monat, begann er mich häufiger zu besuchen, fast täglich, obwohl wir auch schon früher miteinander bekannt waren. Ich ahnte nichts, dann kam es plötzlich wie eine Erleuchtung über mich, und ich wunderte mich sehr. Sie wissen, daß ich schon vor zwei Monaten angefangen hatte, den hiesigen Beamten Pjotr Iljitsch Perchotin, diesen bescheidenen, liebenswürdigen, soliden jungen Mann, bei mir zu empfangen. Sie sind ja oftmals selbst mit ihm zusammengetroffen. Und nicht wahr, er ist so solide und gesetzt. Er kommt alle drei Tage, nicht täglich, obwohl ich auch dagegen nichts hätte, und ist immer so gut gekleidet, und überhaupt habe ich die jungen Leute gern, solche talentvollen, bescheidenen jungen Leute wie Sie zum Beispiel. Und er hat ja beinahe einen staatsmännischen Verstand, er spricht so allerliebst, und ich werde mich unbedingt, unbedingt für ihn verwenden, das ist ein künftiger Diplomat! Er hat mich an jenem furchtbaren Tag gewissermaßen vom Tode errettet, indem er in der Nacht zu mir kam. Aber Ihr Freund Rakitin kommt immer mit so häßlichen Stiefeln
Weitere Kostenlose Bücher