Die Brüder Karamasow
sich für mich zu einem unauflöslichen Knäuel. Ich fürchte, daß Sie vor Langeweile einfach aufspringen und gehen. Ach mein Gott, was sitzen wir denn so, ich müßte doch erst mal Kaffee ... Julija, Glafira, Kaffee!«
Aljoscha dankte und erklärte rasch, er habe soeben erst Kaffee getrunken.
»Bei wem denn?«
»Bei Agrafena Alexandrowna.«
»Ach ... Bei dieser Frauensperson! Sie ist es, die alle zugrunde gerichtet hat, aber ich weiß nicht, es heißt ja, sie sei jetzt eine Heilige geworden, obgleich wohl etwas spät. Das hätte sie lieber früher tun sollen, als es nötig war! Aber jetzt, was hat es jetzt für einen Nutzen? Seien Sie still, seien Sie still, Alexej Fjodorowitsch, ich habe Ihnen so viel zu sagen, daß ich, wie es scheint, überhaupt nicht dazu komme, Ihnen irgend etwas zu sagen. Dieser schreckliche Prozeß! Ich werde unbedingt hinfahren, ich bereite mich darauf vor, ich werde mich im Lehnsessel in den Saal tragen lassen, dort kann ich ja sitzen, ich werde meine Leute mitnehmen. Sie wissen ja, ich gehöre zu den Zeugen. Wie werde ich nur reden, wie werde ich nur reden! Ich weiß nicht, was ich da sagen soll. Man muß ja wohl einen Eid schwören, nicht wahr?«
»Ja, aber ich glaube nicht, daß es Ihnen möglich sein wird, dort zu erscheinen.«
»Ich kann ja sitzen! Ach, Sie bringen mich aus dem Konzept! Dieser Prozeß, diese Tat, und dann gehen alle nach Sibirien, und andere verheiraten sich, und alles geht so schnell, und alles ändert sich, und zuletzt ist nichts mehr übrig, und alle sind alt geworden und blicken in ihr Grab. Na, in Gottes Namen, ich bin müde ... Diese Katja, cette charmante personne, hat alle meine Hoffnungen zunichte gemacht! Jetzt wird sie einem Ihrer Brüder nach Sibirien folgen, und Ihr anderer Bruder wiederum wird ihr folgen und in einer benachbarten Stadt leben, und alle werden sich gegenseitig quälen. Mich macht das alles ganz verrückt, besonders aber diese Publizität! In allen Petersburger und Moskauer Zeitungen sind eine Million Artikel darüber gedruckt worden. Ach ja, stellen Sie sich das vor, auch von mir haben sie geschrieben, ich sei eine liebe Freundin Ihres Bruders gewesen! Ich will ja keinen häßlichen Ausdruck gebrauchen, aber stellen Sie sich das vor, stellen Sie sich das vor!«
»Das ist nicht möglich! Wo ist denn das gedruckt worden?«
»Ich werde es Ihnen zeigen. Gestern habe ich es bekommen und gleich gelesen. Sehen Sie, hier in der Zeitung ›Gerüchte‹, sie kommt in Petersburg heraus. Diese ›Gerüchte‹ erscheinen erst seit diesem Jahr. Ich bin eine große Freundin von Gerüchten und habe sie abonniert, zu meinem eigenen Unglück! Sehen Sie nur, als was sich diese ›Gerüchte‹ entpuppt haben! Sehen Sie, hier, an dieser Stelle. Lesen Sie.«
Sie reichte Aljoscha ein Zeitungsblatt, das sie unter ihrem Kopfkissen liegen hatte.
Sie war nicht etwa nur verstimmt, sondern in ihrem Kopf hatte sich vielleicht wirklich alles zu einem wirren Knäuel zusammengeballt. Die Zeitungsmeldung war sehr treffend und mußte auf sie tatsächlich einen recht peinlichen Eindruck machen; doch sie war vielleicht zu ihrem Glück nicht imstande, in diesem Augenblick ihre Gedanken auf einen Punkt zu konzentrieren, und brachte es daher schon eine Minute später fertig, die Zeitung sogar zu vergessen und auf etwas ganz anderes überzugehen. Daß sich die Kunde von dem Prozeß schon überall in Rußland verbreitet hatte, wußte Aljoscha längst – was für tolle Nachrichten und Korrespondenzen hatte er unter anderen, wahren Nachrichten in diesen zwei Monaten schon über seinen Bruder, über die Karamasows im allgemeinen und sogar über sich selbst gelesen! In einer Zeitung war sogar geschrieben worden, er sei nach dem Verbrechen seines Bruders vor Entsetzen Einsiedler geworden und habe sich von der Welt abgeschlossen; in einer anderen Zeitung war diese Meldung als falsch bezeichnet und statt dessen behauptet worden, er habe zusammen mit seinem Starez Sossima die Klosterkasse erbrochen und sei dann mit ihm geflohen. Die Nachricht in der Zeitung »Gerüchte« nun hatte die Überschrift: »Zum Karamasow-Prozeß. Neues aus Skotoprigonewsk« – leider heißt unser Städtchen so, ich habe seinen Namen lange verschwiegen. Der Artikel war nur kurz, und über Frau Chochlakowa war darin nichts direkt gesagt, wie überhaupt alle Namen weggelassen waren. Es wurde nur mitgeteilt, der Verbrecher, zu dessen Aburteilung jetzt dieser aufsehenerregende Prozeß anberaumt sei, ein
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