Die Brüder Karamasow
»Aber wer wird ihm bei all den belastenden Momenten glauben? Grigori Wassiljewitsch hat die Tür offen gesehen: Was gibt es dagegen für eine Verteidigung? Na, Gott möge ihm verzeihen, er sucht sich in seiner Angst zu retten ...«
Er schwieg eine Weile mit ruhiger Miene und fügte dann, als hätte er es sich überlegt, hinzu: »Das ist wieder dieselbe Geschichte. Er will es auf mich abwälzen, so daß es als meine Tat erscheint, das habe ich schon gehört. Aber nehmen Sie schon allein den Umstand, daß ich einen epileptischen Anfall simulieren kann. Hätte ich Ihnen vorher gesagt, daß ich das kann, wenn ich wirklich etwas Böses gegen Ihren Vater im Schilde geführt hätte? Wenn ich einen Mord plante, konnte ich dann so dumm sein, vorher eine mich selbst belastende Aussage zu machen, und noch dazu dem leiblichen Sohn gegenüber? Ich bitte Sie! Hat das die geringste Wahrscheinlichkeit? Das ist, im Gegenteil, vollkommen undenkbar! Sehen Sie, dieses Gespräch jetzt mit Ihnen hört niemand außer der Vorsehung; doch wenn Sie es dem Staatsanwalt und Nikolai Parfjonowitsch mitteilen wollten, könnten Sie mich dadurch entscheidend verteidigen, denn welcher Verbrecher ist vorher so offenherzig? Das alles werden die Herren sehr wohl verstehen können.«
»Hör mal«, sagte Iwan Fjodorowitsch, stand auf und brach das Gespräch ab; Smerdjakows letzte Schlußfolgerung hatte auf ihn einen starken Eindruck gemacht! »Ich habe dich überhaupt nicht im Verdacht und halte es sogar für lächerlich, dich zu beschuldigen ... Ich bin dir sogar dankbar, daß du mich beruhigt hast. Jetzt gehe ich, aber ich werde wieder einmal vorbeikommen. Bis dahin lebe wohl, und werde wieder gesund! Brauchst du irgend etwas?«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, aber ich habe alles. Marfa Kondratjewna vergißt mich nicht und versorgt mich mit allem, wenn ich etwas brauche. Sie ist zu mir so gütig wie früher. Es kommen täglich gute Menschen zu mir.«
»Auf Wiedersehen! Ich werde übrigens nichts davon sagen, daß du simulieren kannst. Und auch dir möchte ich raten, nichts darüber auszusagen«, bemerkte Iwan plötzlich aus irgendeinem Grund.
»Ich verstehe. Wenn Sie das nicht angeben, werde auch ich nicht von meinem ganzen Gespräch mit Ihnen damals am Tor berichten.«
Es ergab sich, daß Iwan Fjodorowitsch schnell hinausging und es ihm erst draußen auf dem Korridor zu Bewußtsein kam, daß in Smerdjakows letztem Satz ein beleidigender Sinn enthalten war. Er wollte schon wieder umkehren, doch der Gedanke war nur flüchtig! »Dummheiten«, sagte er vor sich hin, dann verließ er eilig das Krankenhaus. Die Hauptsache war, daß er sich tatsächlich beruhigt fühlte, und zwar gerade durch den Umstand, daß nicht Smerdjakow der Schuldige war, sondern sein Bruder Mitja, obwohl doch das Gegenteil hätte der Fall sein müssen. Warum es so war, das zu überlegen hatte er keine Lust; er empfand sogar einen Widerwillen gegen ein solches Wühlen in seinen Empfindungen. Lieber hätte er dies und jenes so bald wie möglich vergessen. Jedenfalls war er nach einigen Tagen, nachdem er sich näher und gründlicher mit allen Mitja belastenden Momenten bekannt gemacht hatte, vollständig von dessen Schuld überzeugt. Es waren darunter Aussagen ganz einfacher Leute, aber sie wirkten beinahe niederschmetternd, vor allem die Aussagen Fenjas und ihrer Mutter, gar nicht zu reden von Perchotin, von dem Restaurant, von Plotnikows Laden, von den Zeugen in Mokroje. Besonders belasteten ihn auch gewisse Einzelheiten. Die Mitteilung über die geheimen Klopfsignale hatten auf den Untersuchungsrichter und den Staatsanwalt einen fast ebenso starken Eindruck gemacht wie Grigoris Angabe über die offenstehende Tür. Grigoris Frau, Marfa Ignatjewna, erklärte auf Iwan Fjodorowitschs Frage mit aller Bestimmtheit, Smerdjakow habe bei ihnen die ganze Nacht über auf der anderen Seite der Bretterwand gelegen, »keine drei Schritte von unserem Bett entfernt«; sie habe zwar fest geschlafen, sei aber oft aufgewacht und habe gehört, wie er da stöhnte! »Die ganze Zeit stöhnte er, unaufhörlich stöhnte er,« Er hatte eine Unterredung mit Herzenstube und äußerte ihm gegenüber, Smerdjakow komme ihm überhaupt nicht geistig gestört vor, sondern nur körperlich schwach; doch er rief dadurch bei dem alten Mann nur ein feines Lächeln hervor! »Wissen Sie, womit er sich jetzt besonders beschäftigt?« fragte er Iwan Fjodorowitsch! »Er lernt französische Vokabeln auswendig. Unter dem
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