Die Brüder Karamasow
die Wahrheit!« Er atmete schwer und starrte Aljoscha schon im voraus böse an.
»Verzeih mir, auch das habe ich damals gedacht«, flüsterte Aljoscha und verstummte, ohne ein milderndes Wort hinzuzufügen.
»Ich danke dir!« antwortete Iwan kurz, ließ Aljoscha stehen und ging mit raschen Schritten davon.
Seitdem bemerkte Aljoscha, daß sich Iwan in schroffer Weise von ihm fernhielt und ihn so gar nicht mehr mochte, so daß er kurz darauf von sich aus die Besuche bei Iwan einstellte. Unmittelbar nach dieser Begegnung mit Aljoscha begab sich Iwan Fjodorowitsch, ohne erst nach Hause zu gehen, plötzlich abermals zu Smerdjakow.
7. Zweiter Besuch bei Smerdjakow
Smerdjakow war damals schon aus dem Krankenhaus entlassen. Iwan Fjodorowitsch kannte seine neue Wohnung in jenem schiefen kleinen Häuschen aus unverschalten Balken, das nur zwei durch einen Flur getrennte Stuben enthielt. In der einen Stube wohnte Marja Kondratjewna mit ihrer Mutter, in der anderen für sich allein Smerdjakow. Gott weiß, unter welchen Bedingungen er bei ihnen wohnte, ob umsonst oder zur Miete. Später hieß es, er hätte sich als Marja Kondratjewnas Bräutigam bei ihnen niedergelassen und einstweilen gratis gelebt. Mutter wie Tochter schätzten ihn sehr und betrachteten ihn als ein weit über ihnen stehendes Wesen.
Nachdem Iwan Fjodorowitsch geklopft hatte und ihm geöffnet worden war, begab er sich auf Marja Kondratjewnas Weisung direkt in die links gelegene »gute Stube«, die Smerdjakow bewohnte. In dieser Stube stand ein Kachelofen, der jetzt stark geheizt war. Die Wände waren mit himmelblauen, allerdings völlig zerfetzten Tapeten geschmückt, und darunter in den Holzritzen wimmelte es von Schaben in solcher Menge, daß ein unaufhörliches Rascheln zu hören war. Das Mobiliar war nur spärlich: zwei Bänke an den beiden Wänden und zwei Stühle am Tisch. Der Tisch, obwohl nur ein einfacher Holztisch, war mit einer rotgemusterten Decke bedeckt. An den beiden kleinen Fenstern stand ein Blumentopf mit Geranien. In der Ecke war ein Schrein mit Heiligenbildern angebracht. Auf dem Tisch stand ein kleiner, stark verbeulter Samowar aus Messing und ein Präsentierteller mit zwei Tassen. Seinen Tee hatte Smerdjakow jedoch bereits getrunken, und der Samowar war erloschen. Er selbst saß am Tisch auf einer Bank, blickte in ein Heft und schrieb etwas mit der Feder. Ein Fläschchen mit Tinte stand neben ihm, ebenso ein niedriger eiserner Leuchter, letzterer sogar mit Stearinkerze. Iwan Fjodorowitsch sah sofort an Smerdjakows Gesicht, daß er sich von seiner Krankheit wieder völlig erholt hatte. Sein Gesicht war frischer und voller geworden, die Tolle sorgsam in die Höhe gekämmt, die Schläfenhaare pomadisiert. Er saß in einem bunten, wattierten Schlafrock da, der recht schmutzig und abgetragen war. Er trug eine Brille, die Iwan Fjodorowitsch früher an ihm noch nicht gesehen hatte. Dieser unbedeutende Umstand schien Iwan Fjodorowitsch ganz besonders zu ärgern: So eine Kreatur, und trägt eine Brille! – Smerdjakow hob langsam den Kopf und blickte den Eintretenden durch die Brille unverwandt an; dann nahm er sie ruhig ab und erhob sich von der Bank, aber durchaus nicht sehr respektvoll, sondern ziemlich lässig, nur um die allernotwendigste Höflichkeit zu wahren, ohne die es nun einmal nicht geht. Alles das bemerkte Iwan Fjodorowitsch augenblicklich und verstand es sofort. Doch die Hauptsache war Smerdjakows Blick, der zu sagen schien: ›Warum belästigst du mich schon wieder? Wir haben uns doch damals über alles ausgesprochen, warum bist du noch einmal zu mir gekommen?‹ Iwan Fjodorowitsch beherrschte sich nur mit Mühe.
»Es ist heiß bei dir«, sagte er noch im Stehen und knöpfte sich den Überzieher auf.
»Legen Sie doch ab!« sagte Smerdjakow, als erteilte er eine Erlaubnis.
Iwan Fjodorowitsch zog den Überzieher aus und warf ihn auf eine Bank, griff mit zitternden Händen nach einem Stuhl, rückte ihn hastig an den Tisch und setzte sich. Smerdjakow hatte sich schon vorher wieder auf seiner Bank niedergelassen.
»Erstens – sind wir allein?« fragte Iwan Fjodorowitsch streng und nachdrücklich! »Kann uns niemand hören?«
»Niemand. Sie haben ja selbst gesehen: der Flur ist dazwischen.«
»Hör mal zu, Freundchen. Was hast du für einen Unsinn geredet, als ich aus dem Krankenhaus wegging von dir? Daß auch du dem Untersuchungsrichter nicht unser ganzes Gespräch am Tor mitteilst, wenn ich deine Fähigkeit, einen
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